Dryadenzauber (Die Saga vom Waldvolk) (German Edition)
Er hatte aber auch Allergien geerbt, die es ihm nahezu unmöglich machten, etwas aus Kuhmilch oder Weizen zu essen, ohne auf das Übelste gequält zu werden. Es war nicht ganz einfach, sich immer genau das Richtige vorzustellen, wenn man magisch seine Schüssel füllte. Oft war es wie mit einem rosa Elefanten, an den man auf gar keinen Fall denken soll – und es deshalb tun muss. Sobald Daan dachte “hoffentlich ist da nicht wieder Milch drin“, war Milch im Essen. Deshalb aß Daan meistens bei den Leuten in der Wirtschaftsküche, die gerne wie früher kochten und deshalb immer genau wussten, woraus das Essen bestand. Heute hatte er allerdings auf dem Essplatz gegessen, um nichts zu verpassen, das rächte sich nun.
„Geh doch zur Hüterin und hol’ dir dieses Heilkräuterzeug, Boswelliaharz oder so, bevor es noch übler wird“, riet ihm Mathys.
„Das mach ich auch, es wird immer schlimmer“, erwiderte Daan.
„Sollen wir mitkommen?“, fragte Julie, die sich jetzt schon für Daan verantwortlich fühlte, obwohl sie sich nicht einmal einen Tag kannten.
„Nein, es geht schon, ich bin das gewöhnt“, kam es tapfer zurück. Daan ging aus dem Zelt, nun waren Mathys und Julie plötzlich alleine. Erst einmal wusste keiner, was er sagen sollte.
„Wo kommst du …“, fing Mathys schließlich an, allerdings begann Julie im gleichen Moment ihren Satz. „Bist du schon lange …“ Beide lachten. „Du zuerst!“, sagte Mathy dann.
„Bist du schon lange in Tallyn?“, kam diesmal die ganze Frage.
„Ja, seit meiner Geburt, und wo kommst du her?“
„Aus Dornum“, erwiderte Julie.
Mathys nickte wissend. „Das kenne ich, da bin ich letztes Jahr mal auf einem Fest in der anderen Welt gewesen.“
Wieder breitete sich verlegenes Schweigen aus.
Dann fragte Julie: „Ist Daan immer so still?“
„Na, ein Alleinunterhalter war er nie, aber seit der Geschichte mit Ria …“
„Was war denn da?“
„Ria war gerade erst elf Jahre alt, als sie sich in Daan verliebt hat. Sie hat ihn umworben und mit ihm gespielt, aber er ist nicht darauf eingegangen. Dabei wünscht sich fast jeder Junge, dass sich eine Dryade in ihn verliebt, sie sind wunderschön, wenn man von der verbitterten Myra im Jagdforst einmal absieht – obwohl die früher auch sehr hübsch gewesen sein soll. Jedenfalls ist Ria seitdem unglücklich in Daan verliebt.“
„Warum kann er sie denn nicht leiden?“, fragte Julie.
„Ich glaube, er kann sie sogar leiden; warum er nichts von ihr wissen will, weiß ich auch nicht“, erklärte Mathys. „Vielleicht hat es etwas mit den beiden Briefen zu tun, die Daan in jeder freien Minute hervorholt, die sind schon ganz zerfleddert. Aber sicher bin ich nicht, so etwas kann man doch nicht fragen. Ein Elf ist eben ein Elf, die tragen ihr Herz nicht auf der Zunge.“ Mathys zuckte die Schultern. „Nicht mal dem besten Freund gegenüber.“
Bevor sich erneut Stille zwischen die beiden schieben konnte, teilte sich unter großem Gelärm das Tuch des Zelteinganges. Nacheinander stürmten Kim, Bille und ein Julie unbekannter Junge in das Zelt. „Guck mal, wen ich dir hier mitgebracht habe, ist das nicht krass? Die Bille mochtest du doch auch. Hat er gut ausgesucht, der kleine Empat, und das hier ist Ulf – sag guten Tag Ulf – das ist mein zweiter Gefährte, der wohnt auch hier mit im Zelt.“
Julie grinste. Mit Bille würde es sicher lustig werden; falls Kim sie zu Wort kommen ließ, natürlich. Mathys stellte sich kurz vor, die Neuankömmlinge räumten ihre Sachen ein. In der allgemeinen Geschäftigkeit kam auch Daan wieder; er legte sich jedoch gleich in seiner Kammer nieder und zauberte sich einen Lärmschutz, denn bis die entzündungshemmende Wirkung des Weihrauches einsetzte, konnte es noch ein Weilchen dauern.
Unter Billes Geschnatter flog die Zeit dahin; schon war es soweit, sie mussten sich für das Fest vorbereiten. Die Jungs machten sich nicht viele Gedanken, aber alle Mädchen, selbst Julie, die sonst bestimmt nicht eitel war, standen aufgeregt vor ihrer Truhe und überlegten, was sie anziehen sollten. Zu Julies Freude funktionierten die Truhen wie die dunklen Essensschalen. Julie hing über dem Rand des massiven Holzmöbels und dachte: “Ein blaues Kleid müsste man haben.“ Zack! Das Gewünschte lag sauber gefaltet in der Truhe. Für Julie, die sich nie viel hatte leisten können, war eine neue Zeit angebrochen. Keiner würde sie mehr wegen zerrissener oder zu kurzer Kleidung verspotten!
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