Dryadenzauber (Die Saga vom Waldvolk) (German Edition)
ihrem Gefährten zu, der gerade auf dem Weg zum Stall war, um nach seinem Pferd zu sehen und seinen Stalldienst zu leisten. Mathys drehte sich um; für Julie nahm er sich die Zeit zu lächeln, obwohl er es eilig hatte. „Was gibt es denn?“
Julie zog die Stirn in Falten, wie immer wenn sie nachdachte. „Weißt du, was mit Gesinnungsprüfung gemeint ist?“
„Ja, alle gehen in eine Höhle, die Geister kommen, und man wird sich über seine Vergangenheit, seine Zukunft und seine Ziele bewusst“, fasste Mathys so kurz wie möglich zusammen. „Ich muss los, sonst wird der Gager ungeduldig, bis später!“
Weg war er. Julie stand belämmert herum. Das waren ja schöne Aussichten …
Zwei Tage später war es soweit. Die Anwärterinnen wurden traditionell nicht vorbereitet. Die Wirkung war größer, wenn sie nicht genau wussten, was auf sie zukam. Bisher war das auch immer recht gut gegangen; es war noch nie ein Mädchen bei dieser Prüfung gestorben, und nur ganz wenige waren verrückt geworden.
In einer langen Schlange marschierten die Mädchen, bepackt mit Heu gefüllten Matten und wollenen Decken, in Richtung des Falkensteins. Auf dem Weg durch den abendlichen Wald warf die Sonne rot glimmende Lichter auf die Wipfel der Bäume, aus deren Stämmen schon die nächtliche Schwärze kroch. Die einsamen Rufe eines Käuzchens verhallten in der Stille; der aufkommende Tau befeuchtete den Waldboden und ließ ihn durchdringend holzig riechen. Am liebsten wäre Julie wieder umgekehrt, sie fühlte sich seltsam verloren. Aber diesen Weg musste sie ohne ihre Gefährten gehen, so wollten es die Regeln.
Die Mädchenschlange hatte die Hütte von Milo schon rechts hinter sich gelassen und war zur Linken am Portalstein vorbeigekommen, als Anouk, die die Gruppe führte, die Hand hob und den Mädchen Einhalt gebot.
„Anwärterinnen“, sagte sie, ihre Stimme war mit klarer Brillanz zu hören, obwohl sie beinahe flüsterte, „es ist nun Zeit, den Weg der Erkenntnis zu gehen. Woher ihr kommt, wohin ihr geht, das sollen euch die Höhlengeister zeigen. Jede von euch wird einen Pfad aus Licht sehen, den geht ihr entlang, so kommt ihr in eure Höhle. Richtet euch für die Nacht ein und versucht zu schlafen, den Rest erledigen die Höhlengeister.“
Julie kam ein profaner Gedanke: Was, wenn sie noch mal auf die Toilette musste?
Einerlei. Mit den anderen zusammen betrat sie den Eingang der Höhle, in der es nicht kalt war, wie sie erwartet hatte, sondern warm. Wie sie später von Mathys hören sollte, lag das an den magischen Pfaden, die der Rat gelegt hatte. Julie sah nur ihren eigenen Pfad; er war grün und lief in einer Kurve um die scharfkantige Felswand herum, bis er sich in der wattigen Dunkelheit verlor.
Obwohl sie Angst vor der kommenden Nacht hatte, begab Julie sich zügig immer tiefer in das unterirdische Tunnelsystem bis zu ihrer Höhle. Dort angekommen kostete es Julie Überwindung, sich umzusehen, aber sie tat es doch: Die grauen Wände hatten zwar scharfkantige Vorsprünge, der Boden jedoch war glatt wie ein Flusskiesel. Mit Julies Bettzeug auf dem warmen Boden sah die Höhle eigentlich ganz gemütlich aus. Julie wusste auch nicht, was sie eigentlich erwartet hatte. Sprühende Lava? Hechelnde Monster? Sie musste lachen, doch das bereute Julie sofort, denn der schroffe Fels warf das Lachen unheimlich verzerrt und mehrfach zurück.
Swantje war inzwischen auch in ihrer Höhle angekommen. Im Gegensatz zu Julie machte sie sich keine Sorgen darum, wie die Nacht verlaufen würde; sie wusste es schon: Gemeinsam mit Tonia hatte sie einen Plan ausgeheckt. Tonia hatte nicht besonders viel Vertrauen in Swantjes Durchhaltevermögen, und wenn der Weg in den Rat für Swantje zu Ende war, war es auch für Tonia aus und vorbei. Also half sie ein bisschen nach. Tonia hatte Calmud besorgt, ein aus Muscheln gewonnenes Elixier, das die Höhlengeister von Swantje fernhalten sollte. Damit es trotzdem so aussah, als habe Swantje die Prüfung bestanden, hatte Tonia Swantje noch weiße Kreide mitgegeben und ihr genauestens vorgegeben, was sie am Morgen sagen sollte. „Du sagst einfach nur: ‚Ich will nicht darüber sprechen’, okay?“
Das hatte Swantje sofort eingeleuchtet; es war ihre Lieblingsaussage, wenn sie etwas falsch gemacht oder gekniffen hatte.
„Mach’ dir mit der Kreide das Gesicht weiß, bevor du deine Höhle verlässt, damit es so echt wie möglich aussieht“, hatte Tonia ihr noch eingetrichtert.
Es lag alles
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