Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dryadenzauber (Die Saga vom Waldvolk) (German Edition)

Dryadenzauber (Die Saga vom Waldvolk) (German Edition)

Titel: Dryadenzauber (Die Saga vom Waldvolk) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Niespor
Vom Netzwerk:
strahlte eine Ruhe aus, die Julie so noch nicht erlebt hatte. Jedes Detail schien zu stimmen, alles war absolut harmonisch. Der Eingang war offen, so dass das Licht der Nachmittagssonne schräg auf den Boden fiel. Die Dielenbretter des Bodens waren geweißt, dadurch wirkte der ganze Raum hell und großzügig. Auf der rechten Seite befand sich eine Sitzecke aus Reisstrohmatten, den so genannten Tatamis, für die Leung Jan eine Vorliebe zu haben schien, lagen die Matten doch auch in der benachbarten Kampfkunstschule auf dem Boden. In der Mitte der Sitze, von den U-förmig ausgelegten Matten umfasst, stand der flachste Tisch, den Julie je gesehen hatte; er ragte höchstens zwanzig Zentimeter über den Boden empor. Dahinter begann ein seltsam verschachtelt aussehendes System von Paravents und Bambuspflanzen. Bei ihrer ersten Führung von Leung Jan erfuhr Julie, dass dahinter dann der Behandlungstisch und die Behandlungsliege standen. Die mit Papier bespannten Paravents waren zusammen mit den Pflanzen so angeordnet, dass man zwar hindurchgehen, aber nicht hindurchsehen konnte. Links befand sich das Herzstück des riesigen und dennoch gemütlichen Raumes: eine lange Theke aus tiefdunklem Holz, dessen Oberfläche seidig schimmerte. Mal kamen hier magische Elixiere zum Einsatz, mal wurden Heilkräuter für Packungen zubereitet.
    Auf der Theke fiel sofort eine riesige Waage mit zwei kupfernen Schalen auf, die fast den gesamten rechten Kopfplatz einnahm. Julie sah jedoch in der ganzen Zeit, die Leung Jan sie unterrichtete, nicht ein Mal, dass ihr Kräuterkundelehrer die Waage benutzte. Zielsicher griff er stets eine bestimmte Menge für die Mischungen, und er irrte sich nie. Die Schüler hingegen hatten selbst mit der Waage Schwierigkeiten beim Abmessen, denn manche der Mischungen bestanden aus fünfundzwanzig und mehr Zutaten. Sich die alle zu merken war schwer genug, sie richtig zu mischen unmöglich, wenn man es nicht schon an die hundert Jahre geübt hatte.
    Hinter und neben der Theke zog sich eine ganze Wand von Apothekerschränken aus dem gleichen Holz wie die Theke bis unter die Decke hoch. Die kleinen Schubladen waren allesamt mit seltsamen Zeichen beschriftet, von denen Julie annahm, dass es sich um chinesische Zeichen handelte. Glücklicherweise brauchten die Schüler die Grundstoffe nicht selbst im Schrank zu suchen; bei der riesigen Menge an Schubladen hätte das wohl Verwirrung – oder schlimmer noch – Vergiftungen zur Folge gehabt. Genau genommen waren es achthundertzweiundsechzig Schubladen und acht geheime Schubfächer, deren Inhalt zeitweise auch noch wechselte. Viele der Zutaten hatten ein starkes Eigenaroma, dadurch war die Luft über dem Arbeitsplatz immer mit einem eigentümlich beißenden Geruch nach Medizin durchtränkt.
     
    Inzwischen waren Julie der Raum und sein Geruch mehr als vertraut. Zielsicher steuerte sie auf ihren Lieblingsplatz an der fast acht Meter langen Theke zu, der direkt neben dem von Leung Jan lag. Leung Jan bevorzugte zum Unterrichten die kurze Seite der Theke nahe dem Eingang; er hätte an beiden Kopfenden von allen gut gesehen werden können, aber auf der anderen Kopfseite stand die Waage und nahm viel von dem zum Arbeiten nötigen Raum ein. Julie hatte ihren Platz an der Theke so gewählt, dass sie die Schränke schützend im Rücken hatte und gut zur Tür sehen konnte. Ein Teil der Anwärterinnen und Gefährten stand lieber auf der anderen Thekenseite; durch den leichten Luftzug von der offenen Tür war der einschläfernde und intensive Geruch dort nicht so stark.
    An diesem Tag stand eine Heilkräuterpackung auf dem Plan. Die bereitliegenden Leinentücher wurden mit dem Kokosfett und den bereits eingeweichten und gestampften Kräutern bestrichen. Das fertige Päckchen wurde auf Verstauchungen und Zerrungen aufgelegt und nahm fast Augenblicklich den Schmerz. Sicher ließen sich viele der Erkrankungen, welche in Tallyn vorkamen, auch einfach mit Magie heilen. Es waren aber längst nicht alle Einwohner Tallyns in der Lage, zu heilen. Außerdem kostete das Heilen mit Magie den Ausführenden jedes Mal Kraft. Aus diesem Grund sparten sich die meisten erfahrenen Magier ihre Heilkünste für wichtige Fälle auf.
    Julie arbeitete still und konzentriert; sie füllte genau drei Messlöffel von dem grau-braunen Matsch mit dem scharfen Wohlgeruch ab, der auf das Kokosfett gestrichen werden sollte, und notierte sich nebenbei Zeit und Datum der Zubereitung. Alles musste dokumentiert werden,

Weitere Kostenlose Bücher