Dryadenzauber (Die Saga vom Waldvolk) (German Edition)
lagen, in leichten Nebel gehüllt war. Einige Einwohner Tallyns, unter ihnen die Gefährten und die Ratsmitglieder, waren schon im Morgengrauen zu den Höhlen gegangen, um die Anwärterinnen nach dieser schweren Nacht in Empfang zu nehmen. Sie trafen an den Höhlen auf die Nachtwachen, die zur Sicherheit in der Nähe der Mädchen geblieben waren. Der saftiggrüne Waldmeister, der weite Teile des Bodens hier bedeckte, war inzwischen von so vielen Füßen niedergetrampelt, dass es durchdringend nach Maibowle roch.
Chris wandte sich an eine der Wachen, die recht verschlafen aussah. „Ist jemand herausgekommen, heute Nacht?“
„Ja“, der Wächter gähnte verhalten, „eine gewisse Dana Thomßen. Wir haben sie schon vor zwei Stunden zum Zelt gebracht, das Mädchen müsste inzwischen auf dem Weg zum Portal sein.“
Chris seufzte. Wieder eine Hoffnung weniger. Andererseits war das zu erwarten gewesen, es hatte wohl bisher keine Gesinnungsprüfung gegeben, wo nicht wenigstens eine Anwärterin abgebrochen hatte. Zumindest schien diesmal niemand so zusammengebrochen zu sein, dass seine Gesundheit bedroht war.
Die ersten Mädchen kamen bald blass und übernächtigt aus der Höhle, ihr Bettzeug unter dem Arm. Sie waren erschöpft und hungrig. Jedes der Mädchen wurde sofort von seinen Gefährten bestürmt: „Und, wie war es?“ – „Machst du weiter?“ – „War es schlimm?“ – „Was haben sie mit dir gemacht?“, riefen alle durcheinander.
Mehrere der Mädchen sagten, ganz wie Tonia es sich gedacht hatte, einfach nur: „Ich will nicht darüber reden.“ Diese Anwärterinnen mussten erst einmal alleine verarbeiten, was sie über sich erfahren hatten; denn es gibt Dinge, die man nicht über sich selbst wissen möchte.
Anouk war neben Chris getreten. „Vergessen ist ein Akt der Gnade“, sagte sie leise. Chris stimmte ihr zu. „Aber bei der Auswahl der Hüterin können wir keine Gnade walten lassen“, gab er dann zu bedenken, „es hängt zu viel davon ab.“ Anouk nickte nur stumm: Sie erinnerte sich noch an ihre eigene Gesinnungsprüfung, als sei sie gestern gewesen. „Der Schmerz lässt irgendwann nach“, sagte sie, „wenigstens das.“
Inzwischen war auch Swantje aus der Höhle gekommen. Bleich wie die anderen, aber deutlich munterer trat sie auf ihre Gefährten zu. „W-w-w-wie war e-es?“, fragte Dolf aufgeregt, “ma-machst du wei-wei-ter?“
„Ich will nicht darüber reden“, gab Swantje zurück, „und ja, ich mache weiter!“
„Gott sei Dank“, entfuhr es Dolf, diesmal ohne einen Stotterer. Auch Tonia war erleichtert, war sie doch bis zum Schluss nicht hundertprozentig überzeugt davon gewesen, dass Swantje alles richtig hinbekommen würde. Nun, diese Hürde war genommen!
Mathys und Daan warteten immer noch ungeduldig. Sie wollten endlich wissen, ob es ihrer Gefährtin auch wirklich gut ging. Daher seufzten Mathys und Daan erleichtert auf, als Julie endlich und offenbar ganz wohlbehalten im Höhleneingang auftauchte.
„Ist dir kalt?“, fragte Mathys, der sofort auf sie zugestürmt war. Julie schüttelte den Kopf. Sie hatte Probleme, gerade zu stehen, denn ihr war immer noch schwindelig. Von Daan und Mathys rechts und links gestützt ging sie den Weg zurück zum Lager, wo sie nach einem schnellen Frühstück in ihr Bett sank. Es war klar, dass die Anwärterinnen nach dieser Nacht sowieso nichts Sinnvolles zustande bringen konnten, deshalb hatten heute alle frei.
Abwechselnd blieb je einer ihrer beiden Gefährten bei Julie, falls sie noch einmal schlechte Träume haben sollte, der andere ging Bogenschießen üben. Gegen Abend war Julie wieder einigermaßen munter. Aber selbst als sie im Schneidersitz mit einem Becher heißem süßem Tee in der Hand auf den flauschigen Fellen im Hauptraum saß, brachte sie es nicht über sich, ihren Freunden alles zu erzählen. Vielleicht würde sie das irgendwann einmal tun, jetzt war es noch zu früh. Doch in einem war sich Julie nun ganz sicher: Sie würde es schaffen, die nächste Hüterin zu werden – für ihre Mutter.
In den Katakomben
Am nächsten Morgen stand nach dem Reiten Kräuterkunde auf dem Plan. Julie mochte diesen Unterricht. Er wurde von Leung Jan abgehalten und war immer ungewöhnlich. Der Unterricht fand im Haus des Chinesen statt.
Als Julie an einem herrlichen Sommernachmittag das erste Mal in sein Domizil gekommen war, war sie überwältigt gewesen. Die Einrichtung war schlicht und einfach, aber der Empfangs-Raum
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