Dryadenzauber (Die Saga vom Waldvolk) (German Edition)
der furchtbare Streit mit Mathys. Julie sank traurig auf den Boden, vergrub das Gesicht in den Armen und begann zu schluchzen. Es dauerte lange, bis Julie ruhiger wurde und die Tränen versiegten.
Sicher war es schon spät. Es würde bald Essen geben, und sie wollte doch vorher noch nach ihrem Pferd sehen. Julie zwang sich, die Augen zu öffnen; sie konnte schließlich nicht ewig auf dem Boden liegen bleiben. Da sah sie ihn ganz unschuldig daliegen: Der Gürtel mit dem Kreuz war unter das Bett gerutscht. Erlöst schnappte Julie ihn sich, drehte sich auf den Rücken und umklammerte den Gürtel ganz fest. Eine kleine Weile starrte sie noch die Zeltdecke an, gefangen in einer Mischung aus Trauer wegen des Streits und Erleichterung über ihren Fund. Dann endlich machte Julie sich auf den Weg zum Stall.
Am Mittagstisch war es an diesem Tag ruhig. Julie hatte sich daran gewöhnt mit Mathys zu quatschen, da Daan ja meist in der Wirtschaftsküche aß. Mathys aber entschuldigte sich nicht und sagte auch sonst kein Wort, deshalb blieb Julie ebenfalls stumm wie ein Fisch. Es war wohl die erste Mahlzeit in Tallyn, die sie nicht unbeschwert genoss. Julie pfefferte die leere Holzschüssel in den bereitstehenden Geschirrbottich. Auch aus dem liebgewordenen gemeinsamen Ausritt würde wohl nichts werden. Dann würde sie eben alleine ausreiten. Es war noch Zeit bis zum nächsten Unterricht, vielleicht würde sie dadurch den Kopf frei bekommen.
Die frische Luft hatte Julie gut getan. Trotzdem zog der Unterricht an ihr vorbei wie ein alter Film, der nicht viel Aufmerksamkeit erfordert, weil man ihn schon ein Dutzend Mal gesehen hat. Mit dem Schlussgong um 19 Uhr, der Tibors Bogenschieß-Unterricht und diesen gesamten Ausbildungstag beendete, ließ Julie alles stehen und liegen. Ohne ein Wort zum Abschied verließ sie die Bahn in Richtung Stall. Tibor blickte ihr verwundert nach; normalerweise half Julie immer mit, die Bogenbahn aufzuklaren und die vergessenen Utensilien einzusammeln.
Julie wollte Tonia zur Rede stellen, das hatte sie sich fest vorgenommen. Und wenn Tonia fies werden würde, würde sie den Vorfall melden. Das Papier hatte sie ja noch. Sicher war Tonia in der Nähe des Stalls, Julie hatte vorhin nachgesehen: Tonia hatte Reiten als letzte Stunde an diesem Tag. Auf dem Weg zum Stall war Julie fest entschlossen, bei diesem Streit nicht klein beizugeben. Wenn Tonia verhindern wollte, dass Julie die neue Hüterin wurde, sollte sie Julie das ins Gesicht sagen.
An der Ecke des Stalles blickte Julie sich noch einmal um. Daan und Mathys kamen mit ihrer Bogenausrüstung hinterher! Sie konnte noch nicht hören, was die beiden redeten, sie waren zu weit weg.
„Du musst mit ihr reden, so gehen Freunde einfach nicht miteinander um.“ Daan kickte einen kleinen Stein beiseite. „Ich habe es ja auch nicht so mit dem ganzen Mädchenkram, aber wenn wir ihre Gefährten sein sollen, müssen wir schon mit Julie reden.“
Mathys senkte schuldbewusst den Kopf. „Ich verstehe das Mädchen einfach nicht. Ich wollte sie doch nur beruhigen. Wenn ich mit ihr rede, guckt sie bestimmt wieder so … ich weiß auch nicht, wie. Lieber würde ich mit einem Höhlengeist verhandeln.“ Nervös fummelte Mathys an seinem Amulett herum. Daan seufzte und fasste sich an die Brusttasche. Das Knistern der beiden Briefe klang beinahe bösartig. „So“, sagte Daan dann und nahm Mathys den Bogen ab, „den Rest zu ihr musst du alleine gehen.“
„Aber was soll ich denn jetzt genau sagen?“, fragte Mathys wohl zum dreißigsten Mal innerhalb der letzten halben Stunde seinen besten Freund.
„Sag, was wir besprochen haben“, antwortete Daan geduldig. „Sag, es tut dir leid und natürlich glaubst du ihr und so sei das nicht gemeint gewesen“, fasste Daan das Besprochene noch einmal zusammen. Dann drehte er sich um und ging in Richtung Zelt, seine und Mathys Bogenausrüstung in den Händen.
Julie war hin- und hergerissen als sie Mathys auf sich zukommen sah. Einerseits wollte sie auf Mathys warten, andererseits kam Tonia vielleicht jeden Moment aus dem Stall, und dann würde sie sie verpassen, denn den Stalleingang konnte sie von hier aus nicht sehen.
Mathys winkte kurz. Fahrig rieb Julie an dem Kreuz. Mathys trat endlich neben sie; aber anstatt sich zu entschuldigen, fuhr er sie heftig an: „Ein Kreuz? Bist du wahnsinnig?“
„Was du bloß schon wieder hast.“ Julie steckte das Kreuz unter ihr Hemd. „Das Kreuz ist von meiner
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