DS006 - Insel der Sklaven
Uniformierten vermeiden, um nicht durch langatmige Erklärungen aufgehalten zu werden.
Das Funksprechgerät in seinem Wagen war noch eingeschaltet. Er hörte das Knistern und Knacken der atmosphärischen Störungen, dazwischen mischten sich abgehackte Worte.
Doc erkannte die Stimme Long Toms, der zweifellos von seinem Gerät von der Redbeach Road sprach, wo Doc ihn zurückgelassen hatte.
Die Stimme des Elektronikexperten kam in keuchenden Stößen und war kaum zu verstehen.
»Doc – Hundertfüßer – sie bringen mich um …«
Der Bronzemann änderte sofort seinen Plan. Long Toms Wohlergehen war ihm wichtiger als das Boris Ramadanows. Er stieß seinen Gefangenen rauh auf den Beifahrersitz, ließ den Motor an, schaltete und jagte davon. Über Funk rief er das Hauptquartier, als Long Tom sich nicht mehr meldete.
Zu Renny sagte Doc: »Komm gleich zur siebenundneunzigsten Straße und warte. Gehe Schwierigkeiten mit der Polizei aus dem Weg. Bleibe auf Empfang, so daß ich mich mit dir in Verbindung setzen kann.«
»In Ordnung, Doc«, erwiderte Renny.
Doc hängte das Mikrofon wieder ein und beschäftigte sich zum erstenmal intensiver mit seinem Gefangenen. Es handelte sich um ›Rats‹ Hanley, den schmalbrüstigen Burschen mit dem Rattengesicht, der Doc hatte Handschellen anlegen wollen.
Der Bronzemann hatte eine sehr nachdrückliche Art, Gefangene zum Sprechen zu bringen. So erfuhr er bald, daß der Mann mit dem kugelrunden Schädel Jans Bergman hieß und seine Befehle von jemandem entgegennahm, den die Ratte nicht kannte.
Docs Wagen raste über die den East River überquerende Queensboro Bridge weiter zur Bucht. Noch immer hing der Nebel vom Meer über dem Haus Nummer 33 Redbeach Road. Doc schwenkte in die Zufahrt ein und ließ den Wagen mit gedrosseltem Motor auf die Vorderfront zurollen.
Aber so scharf er auch Ausschau hielt, er entdeckte keine Spur von Long Tom.
Jetzt ging es um Sekunden, denn Long Tom hätte seinen Hilferuf nicht gesendet, wenn er nicht wirklich in höchster Gefahr gewesen wäre.
Mit langen Sätzen eilte Doc zum Portal. Es war verschlossen. Doc bediente sich Rennys bevorzugter Methode, und seine eisenharte Faust zertrümmerte die Türfüllung. Er erweiterte die Öffnung und schlüpfte ins Haus. Hohl hallten seine Schritte im Halbdunkel. Er zog seine Stablampe, die selbst die düstersten Ecken in gleißendes Licht tauchte.
In einem Raum fand er die Spuren wilden Kampfes. Möbel waren umgeworfen, auf dem Teppich glänzte es feucht und rot. Ein Dutzend Hundertfüßer lag zertreten am Boden. Behaarte Beine zuckten noch.
Aus der Diele erklang das Brechen eines Türbrettes. Doc ließ die Lampe erlöschen, glitt an die Wand und verharrte dort reglos. Der krachende Laut von draußen wiederholte sich, verstummte dann.
Doc hörte das unterdrückte Atmen des Eindringlings hinter der Tür. Der Unbekannte machte einen großen Schritt, um sich geräuschlos auf dem langen Läufer weiterbewegen zu können.
Er erlebte eine Überraschung. Der Läufer wurde ihm plötzlich unter den Füßen weggezogen, der Mann krachte hart auf Rücken und Hinterkopf. Sein Zeigefinger zuckte, eine Pistole dröhnte auf, Gips rieselte von der Decke, als die Kugeln einschlugen.
Mit einem Satz war Doc neben dem Mann, ein Tritt beförderte die Waffe aus dem Gefahrenbereich, ein schmetternder Haken schickte den Unbekannten ins Reich der Träume. Doc ließ die Stablampe kurz aufblitzen. Er hatte den Fremden nie gesehen.
Im nächsten Augenblick aber fand er sich einem Gesicht gegenüber, das ihm nicht fremd war. Nicht oft war der Bronzemann in seinem Leben von einem Gegner überrascht worden. Diesmal aber hatte ihn seine Wachsamkeit im Stich gelassen.
Ein Dielenbrett knarrte an der Tür. Doc blickte auf und starrte in die tödliche Mündung einer Maschinenpistole. Die Pistolenschüsse hatten es dem Eindringling ermöglicht, sich unbemerkt anzuschleichen.
Die glatte Gesichtshaut des Mannes mit der MP glänzte fahl im Halbdunkel. Der Mund mit den schmalen Lippen öffnete sich und verzog sich zu einem triumphierenden Grinsen.
»Es gibt nur eine Möglichkeit, wie Sie so schnell hierher gelangt sein können«, stellte Doc fest, ohne eine Miene zu verziehen.
»Richtig – im Gepäckraum Ihres Wagens«, sagte Bergman, der Gangster mit dem kurzgeschorenen kugelrunden Schädel.
»Sie sind ein gerissener Bursche«, gab Doc zu.
»Mir half, daß zuviel auf Sie einstürmte«, sagte Bergman grimmig. »Und nun – hoch die Hände!
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