Dschiheads
Vater und meine Mutter â sie war nicht meine richtige Mutter, die war bei meiner Geburt vorausgegangen â kümmerten sich wenig um mich, und ich lernte die Freiheit, die das mit sich brachte, zu schätzen. So verbrachte ich viel Zeit mit Herumstreunen â und mit Anzo. Ich musste nur abends bei Sonnenuntergang zur Stelle sein, um zu rudern, wenn Vater mit dem Boot in den Fluss hinausfuhr und die Netze auslegte, und vor Sonnenaufgang, wenn er sie einholte. Vaters Haut war dunkel vom Licht. Darunter zeichneten sich Sehnen und kräftige Muskeln ab, wenn er das Netz aufhob und über die Schulter warf, um es hinunter zum Boot zu tragen, während ich meinen breitkrempigen Hut aufsetzte und, die Ruder über der Schulter, unter dem heller werdenden Himmel hinter ihm her trottete.
Mutter hat immer gespart, soweit ich zurückdenken kann, auch am Essen. Anzos Mutter kochte viel besser und füllte die Teller, und man konnte noch mehr haben, wenn man wollte. Nicht so bei uns. Mutter war knauserig. Fast jeden Tag gab es die Fische, die sie auf dem kleinen Markt am Ufer, wo die Frauen der Fischer den Fang ihrer Männer feilboten, nicht hatte verkaufen können. Weil sie zu klein und nichts als Gräten oder nicht mehr ganz frisch waren und schon rochen, wanderten sie in unseren Kochtopf, zusammen mit anderem Wassergetier, das sich im Netz verfangen hatte: hartschalige Kreckender oder wabbelige Zyklops, die sonst niemand essen mochte. Oft spuckte ich das Zeug in den Fluss und blieb hungrig â oder ich besuchte Anzo, um von seiner Mutter etwas zu ergattern.
Meine Mutter war stets mürrisch und neidisch auf jeden, der sich etwas kaufte, das sie sich nicht gönnte. Dabei hatte niemand im Dorf mehr als wir, auÃer vielleicht Grote, der Schlachter, und natürlich der GroÃarchon, aber dem kam es zu. Und weshalb sollte überhaupt einer neidisch sein auf den anderen, wenn wir ja doch nichts würden mitnehmen können, wenn der Tag kommt, an dem der GroÃarchon uns an der Hand nehmen und heimführen wird. Dann werden wir alles abstreifen und zurücklassen, weil dort, wo wir hinkommen, reichlich für uns gesorgt sein wird: für mich genug gutes Essen, für Vater viele Meter Schnüre aller Art und für Mutter â nun, alles, was sie sich wünscht und sich hier nicht leisten zu können glaubt.
Wenn ich an sie denke, sehe ich sie vor mir mit den verkniffenen Lippen in dem schmalen, eckigen Gesicht, der stets geröteten Nase, der missmutig gefurchten Stirn unter dem wirren schwarzen Haarschopf. Manchmal, wenn sie sich unbeobachtet fühlte, zeigte sie ein hungriges Lächeln, das sie hässlich machte: den Mund leicht geöffnet, als reichten die Lippen nicht über ihre etwas vorstehenden Zähne hinweg, und die Nase kraus gezogen, als nähme sie einen ekligen Geruch wahr. Oder ich sehe sie auf Knien im Wohnzimmer, wie sie mit tränenüberströmten Wangen betet und laut greint um die Gnade, bald heimgeführt zu werden. Wogegen ich, um ehrlich zu sein, nie und nimmer etwas gehabt hätte.
Den GroÃarchon mochte ich nicht. Schon als kleiner Junge hatte ich schreckliche Angst vor ihm. Ich konnte Gott nicht verstehen, dass er ausgerechnet diesen Mann ausgesucht hatte, die Auserwählten zu führen, und nicht einen anderen aus der Gemeinde. Er war laut und herrisch. Was vermutlich sein Amt mit sich brachte, denn er war auch unser Lehrer, der uns im Tempel unterrichtete. Und er war hässlich. Ein grauer Haarkranz umgab die fettige Kuppel seines Schädels, der mit Altersflecken übersät und hauptsächlich mit der Erzeugung von Schuppen beschäftigt war, die unablässig auf seine lilafarbene Soutane herabrieselten, wo sie kleben blieben. Aus seinen Ohren sprossen dicke graue Haarbüschel, als wäre sein Schädel mit Staubmäusen gefüllt. Seine Augenbrauen, borstig wie Raupen, wippten bedeutungsvoll auf und ab, wenn er sprach, als wollten sie Akzente setzen. Und er sprach unablässig mit seiner zischelnden Stimme, die bei der geringsten Erregung â und dazu bedurfte es nicht viel â so gehaltvoll wurde, dass man gut daran tat, einen Schritt zurückzutreten, um nicht weggeschwemmt zu werden von seinen Argumenten. Am schlimmsten war es, wenn er sich über meine Schulter beugte, um zu sehen, was ich in mein Heft geschrieben hatte, und ich von seinem Pfefferminzatem befächelt wurde â er lutschte unentwegt
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