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Dschiheads

Dschiheads

Titel: Dschiheads Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke
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des Teiches saß ein alter Mann mit einem orangefarbenen Turban, in dem eine schillernde Pfauenfeder steckte. Er lächelte Maurya zu und griff nach seinem Instrument. Sein gezwirbelter schlohweißer Schnurrbart stand auf beiden Seiten weit von seinem Gesicht ab. Er war eine imposante Erscheinung. Er spielte das Zimbalin, die bauchige Drehleier mit ihren lustigen schnarrenden Untertönen, dazu sang er mit einer hohen, aber volltönenden Stimme, die so gar nicht zu seiner schmächtigen Brust passen wollte.
    Die roten, grünen und blauen Echsen in den Palmen griffen seine Melodie auf und musizierten mit. Immer mehr fielen ein, und bald klang es wie ein Chor mit Orchester, dutzendfach vervielfältigt und immer lauter, bis Maurya sich die Ohren zuhalten musste. Der alte Mann hielt inne und legte sein Zimbalin beiseite, doch das Konzert der Echsen dauerte unvermindert an. Erst nach etwa fünf Minuten begann es langsam zu verebben.
    Wutschnaubend erschien der Manager des Hotels auf der Terrasse. »Wie oft habe ich dir schon gesagt, du sollst nicht am frühen Morgen spielen, wenn viele Gäste noch nicht auf sind«, schimpfte er mit unterdrückter Stimme. Sein schwarzer Schnauzbart zuckte vor Empörung. »Jedes Mal dieser Radau, den du anstiftest. Hm!«
    Der alte Mann nahm den Turban vom Kopf, kratzte sich das kurz geschorene weiße Haar und wies mit einer um Entschuldigung heischenden Handbewegung auf Maurya. »Sie war schon auf«, sagte er. »Da dachte ich …«
    Â»Nein. Du dachtest nicht. Niemals! Das wäre ein Wunder.« Der Manager griff nach Mauryas leer gegessener Schüssel und ging damit Richtung Hotel zurück.
    Â»Die Fontäne ist noch nicht an«, rief ihm Maurya nach. »Die Echsen wollen baden.«
    Tatsächlich: Überall saßen sie in den Palmen und den blühenden Mangobäumen, auf Gesimsen und Dächern, die rosafarbenen Membranen durstig gespreizt.
    Der Manager blieb stehen und blickte über die Schulter, als merkte er jetzt erst, dass noch kein Wasser aus der Röhre schoss. »Sie haben recht, junges Fräulein«, sagte er. »Besonders nach Nächten wie dieser, in denen keiner der beiden Monde am Himmel war, haben sie bei Sonnenaufgang das Bedürfnis nach einem Bad. Als müssten sie sich die Dunkelheit vom Leib waschen, damit ihre Farben heller erstrahlen. Ich gebe dem Gärtner Bescheid, die Pumpe einzuschalten. Einen Moment bitte.«
    Keine drei Minuten später stieg die Fontäne in die Höhe, und kaum plätscherte das Wasser perlend in den Teich hinab, stoben schon die Echsen heran und balgten sich kreischend um den luftigen Badeplatz. Die Sonne malte einen flirrenden Regenbogen, und die Luft roch augenblicklich kühler und trug den Duft der Tempelblüten wie einen süßen Atem zu Maurya. Das Wasser zischelte über die Steine in der Mitte des Teichs, während der alte Mann auf seiner Matratze saß: das Gesicht der Sonne zugewandt, die Augen geschlossen, die Hände ausgebreitet.
    Ihr Vater verbrachte den Morgen üblicherweise im Gebet. »Wo warst du, Maurya?«, fragte er zerstreut, als er endlich mit Mutter auf die Terrasse kam. »Hast du schon gefrühstückt?«
    Â»Ja«, sagte Maurya. Sie und Carol vermieden es zunehmend, die Mahlzeiten gemeinsam mit ihren Eltern einzunehmen. Ihre Schwester Carol, zwei Jahre älter als sie, geriet jedes Mal aus dem Häuschen, wenn sie Platz nahmen und ihr Vater mit dem Tischgebet begann, das kein Ende nehmen wollte, während ihnen allen der Magen knurrte und das Essen kalt wurde.
    Â»Er bringt es doch fertig und bedankt sich bei seinem Schöpfer für jede Kartoffel einzeln, während die Soße kalt wird und eine Haut kriegt und ich vor Hunger umkomme«, zischte sie, nachdem sie den nervtötenden Sermon wieder einmal hinter sich gebracht hatten und endlich – endlich! – das erlösende »Amen« gesprochen war, Vater die Augen öffnete, die Hände entfaltete und nach der Serviette griff und auch Mutter die Augen zu öffnen wagte. »Was er da treibt, ist ja fast so etwas wie rituelle Onanie.«
    Â»Herrgott, Carol! Wie sprichst du von unserem Vater!«
    Â»Nimm das Wort ›Gott‹ in meiner Gegenwart nie mehr in den Mund, Maurya. Nie mehr! Ich kann es nicht mehr hören.«
    Maurya erinnerte sich an eine Szene, die sie mehrmals morgens auf der Terrasse des Hotels beobachtet hatte. Ein junger Mann

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