Dschiheads
für die Toten entzündet hatten. Entlang der Ziegelmauer, in der die Einschläge der Bombensplitter noch deutlich sichtbar waren, war zusammengerechtes Laub aufgehäuft. Es roch herbstlich, nach Feuchtigkeit und Tod.
»Hier sind sie â¦Â« Der Schmerz schnürte Ailif die Kehle zu.
Sein Vater nickte stumm und legte den Arm um ihn.
An der Wand des Seitenschiffs stand ein Gerüst, und von oben waren Stimmen zu hören. Handwerker waren gerade dabei, ein Buntglasfenster einzusetzen; vermutlich war es bei der Explosion zu Bruch gegangen.
Auf dem Platz vor dem Portal spielten einige Jungen FuÃball, trotz der Kälte in kurzen Hosen und kurzärmeligen Trikots. Ihre Rufe waren frisch und kämpferisch, voller Spielfreude und Lebenslust. Auch Ailif und Batta hatten hier häufig gespielt.
Die kahlen Zweige der Bäume ragten schwarz in den Winterhimmel. Die Luft stand still, es war kein Hauch zu spüren. Und auch die Zeit schien innezuhalten, als gleite sie ins Nichts, und plötzlich begann es aus diesem Nichts heraus zu schneien. Träge sanken dunkle Flocken aus dem Grau des Himmels, die sich über ihren Köpfen auf wunderbare Weise in weiÃe Kristalle verwandelten und leise knisternd auf der Stirn und den Augenlidern zerschellten oder in den schwarzen Pfützen auf dem rissigen Asphalt ertranken. So kostbar geformte Gebilde â in Sekundenschnelle ausgelöscht. Einige Flocken blieben in den buschigen Augenbrauen seines Vaters hängen, und mit dem Handrücken wischte er sich die Feuchtigkeit aus dem Gesicht.
»Es ist der Schnee«, sagte er, als müsse er sich dafür entschuldigen.
Ja, der Schnee, Vater.
Ailif ergriff die Hand seines Vaters. Sie war kalt. »Sie fehlen mir so«, schluchzte er.
»Mir auch, mein Junge. Jetzt habe ich nur noch dich.«
Sein Vater drückte ihn noch fester an sich, und das war der Moment, den Ailif seit Monaten herbeigesehnt hatte. Endlich konnte er weinen. Die Last des Steins in seiner Brust lieà nach, er konnte wieder atmen.
»Hast du Hunger?«, fragte sein Vater.
»Ja«, sagte er. Und dann noch einmal: »Ja.«
»Dann lass uns was essen gehen.«
Die Monate nach dem Tod seiner Mutter und seines Bruders waren entsetzliche Monate für Ailif gewesen, und als sein Vater endlich aus dem Orbit kam und ihn in die Arme schloss, war dem Jungen bewusst, dass er auch ihn nicht lange bei sich haben würde, krank, wie er war, todgeweiht, das Gewebe seines Körpers durchsiebt von harter Strahlung.
Maurya hingegen hatte eine glückliche Jugend gehabt. Sie erinnerte sich noch lebhaft an die wunderbaren Ferien, die sie mit ihren Eltern und ihrer älteren Schwester Carol jedes Jahr auf dem Südkontinent verbracht hatte. Als Kassierer bei der Ulster Credit verdiente ihr Vater genug, dass die ganze Familie einen vollen Monat in den Süden fahren konnte, während im Norden Schneestürme tobten und manchmal sogar die groÃen Expresszüge mit ihren nuklear befeuerten Lokomotiven nicht mehr durchkamen und ihren Betrieb einstellen mussten, weil meterhohe Schneewehen die Schienen begruben.
Sie stiegen in einem schönen alten Hotel in Bantry ab, das Majestic hieà und ein hochherrschaftliches Flair von orientalischem Luxus und viktorianischer Gediegenheit zu imitieren verstand. Im Garten des Hotels blühten die Mangobäume und die Rosen und der weiÃe Mohn. Und eine Fontäne schoss dort in die Höhe, zu der am Morgen die Flugechsen kamen, um ihr Bad zu nehmen. Sie flogen von den Palmen auf, in denen sie die Nacht verbrachten, sausten in pfeilschnellem Flug heran und balancierten sekundenlang auf dem Gipfel, um sich die Brust zu benetzen â bis der nächste Badegast angestürmt kam und sie vertrieb, um seinerseits das Nass zu genieÃen.
In der Früh war Maurya immer die Erste auf den Beinen. Sie liebte den Sonnenaufgang und die morgendliche Frische der Luft. Im Frühstücksraum, wo das Buffet angerichtet war, schöpfte sie sich eine Schüssel mit dampfendem Porridge voll, lieà eine dicke Schnur Honig hineingleiten und ging damit hinaus auf die Terrasse. Die Sonne hatte sich gerade über die Wipfel der Palmen hochgestemmt und hielt Hof. Maurya genoss den Balsam ihrer Wärme, die sie im Norden immer so lange entbehren mussten. Der Tag lag vor ihr wie ein Versprechen, der Himmel war wolkenlos und von lichtem Blau.
Auf einer runden dunkelblauen Matratze jenseits
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