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Dschungelkind /

Dschungelkind /

Titel: Dschungelkind / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Kuegler
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Eltern und schließlich meine Kinder. Ich sah die Freude und den Schmerz, dachte an die Fayu und an mein Leben hier. Vor allem dachte ich an meine Eltern, die mir die Bedeutung von Liebe nahe gebracht hatten, und an meine Kinder, die ich über alles liebte.
     
    Plötzlich stand ich staunend vor mir selbst. Hatte ich denn nicht gelernt, in einem Dschungel zu überleben? Hatte ich es nicht geschafft, wie eine Zeitreisende innerhalb weniger Jahre den Sprung vom Steinzeitalter in die Moderne zu bewältigen? Wo war meine Stärke geblieben? Wo war mein Überlebensgeist? Wo waren meine Lebensfreude und mein Wille? Wo mein wahres Ich?
    Konnte ich denn nicht lernen, auch in der zivilisierten Welt glücklich zu sein? Alles in allem war sie doch auch nur … eine andere Art von Dschungel?
    »Bitte, Gott, hilf mir«, flüsterte ich, »ich kann nicht mehr weiter.« Ich ließ meinen Kopf auf den Boden sinken und schlief ein.
    In dieser Nacht hatte ich einen Traum – ich träumte von Ohri. Doch diesmal war da keine brennende Hütte, kein um Hilfe flehender junger Fayu-Mann. Ich träumte, dass ich wieder im Dschungel war, auf dem Baumstamm vor unserem Haus saß und die Schönheit des Dschungels bewunderte. Plötzlich stand Ohri vor mir, groß und stark, mit einem warmen Lächeln auf dem Gesicht. Er setzte sich zu mir, nahm meine Hand und sagte nur einen Satz: »Ich habe dich niemals verlassen.«
     
    Als ich am nächsten Morgen aufwachte, spürte ich eine innere Ruhe, die ich seit langem nicht mehr gekannt hatte. Ich stand auf, machte alles sauber, wischte das getrocknete Blut weg, verband meine Handgelenke, zog mich um und legte mich ins Bett. Ich fing wieder an zu weinen, doch diesmal waren es keine Tränen der Verzweiflung, sondern der Erleichterung. Denn in diesem Moment hatte ich eine Entscheidung getroffen: Ich entschied mich zu kämpfen. Wie im Dschungel, so würde ich das Überleben auch hier lernen. Würde wieder stark werden und eines Tages zurück in meine Heimat gehen. Ich wusste, dass ich keinen einfachen Weg vor mir hatte, doch ich wollte wieder glücklich werden, wollte wieder morgens aufwachen und mich am Leben freuen.
    Und so begann ich, um mein Glück zu kämpfen – immer mit dem Ziel vor Augen, bewusst die Entscheidungen zu treffen, die mein Leben in die richtige Bahn lenken würden.
    Bis heute kämpfe ich, aber ich habe wieder Mut und Kraft, habe ein neues Leben aufgebaut und habe gelernt, dass das Glück nicht von außen kommt, sondern von innen. Ich bin auf einer inneren Reise, die mir mein wahres Ich zeigen soll, die Bedeutung meines Lebens und den Ort, wo ich letztendlich hingehöre. Und dort, sei es nun im Dschungel oder hier in der westlichen Welt, werde ich mein Glück und meine Freude wiederfinden.

Wieder am Anfang
    V iele Jahre sind vergangen seit dem Tag, an dem ich mich entschied, mein Leben zu ändern. Nach längerer Zeit in der Schweiz und dann einem Aufenthalt in Japan bin ich vor knapp zwei Jahren nach Deutschland gezogen. Ich bin viel umhergereist, habe mein Leben mehrmals komplett umgekrempelt.
     
    Vor einiger Zeit musste ich aufs Amt, um meinen Personalausweis abzuholen. Eine Frau legte mir Papiere vor, die ich unterschreiben sollte. Ich tat es, und sie schaute mich noch immer erwartungsvoll an. Als ich nicht reagierte, meinte sie, dass ich erst meinen alten Ausweis abgeben müsse, bevor sie mir den neuen geben könne.
    »Oh, nein«, dachte ich, »nicht schon wieder.«
    Ich erklärte ihr, was ich schon hundert Mal zuvor auf Ämtern erklärt hatte: dass ich noch nie einen Ausweis besessen hatte, weil ich weder in Deutschland geboren noch aufgewachsen bin. Sie wirkte verdutzt, aber dann bekam ich von ihr meinen ersten deutschen Personalausweis – mit einunddreißig Jahren.
    Als ich nach Deutschland kam, habe ich mich zum ersten Mal in eine Gesellschaft integriert, ohne Ausländerin zu sein. Ich kaufte ein Auto, habe mir eine Wohnung gemietet und fing an, mich durch die deutsche Bürokratie zu kämpfen. Haftpflichtversicherung, Lebensversicherung, Altersversorgung, Mietvertrag, Steuernummer, Kabelfernsehen. Hier anmelden, dort abmelden, dieser Schein, jenes Dokument … es schien niemals aufzuhören. Für mich war alles eine neue Erfahrung. Und so lebe ich heute in meiner kleinen Stadt in der Nähe von Buxtehude und strebe danach, an diesem neuen Ort glücklich zu werden.
     
    In der Fayu-Kultur aufgewachsen zu sein ist heute ein Geschenk für mich. Die Fayu fragen meinen Vater: »Wie

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