Dschungelkind /
waren im Himmel. Einer unserer größten Wünsche ging in Erfüllung, und es war auch noch so lecker wie in unseren Träumen. Ich erinnere mich heute noch, wie wir alle es uns schmecken ließen. Mama und Papa langten auch kräftig zu. Wir teilten sogar, ohne zu streiten.
Als wir mit dem ersten »Earthquake« fertig waren, bettelten wir um mehr. Mama warnte uns, dass wir Magenschmerzen bekommen könnten. Doch wir hörten nicht auf sie und aßen noch eine ganze Schale voll Kugeln.
Als wir am Nachmittag zurück zum Hotel kamen, wurden wir natürlich alle krank. Wir mussten erbrechen und waren bis zum nächsten Tag im Bett. Unsere Mägen waren die Kälte nicht gewöhnt, denn im Urwald hatten wir keinen Kühlschrank – und unsere tägliche Nahrung sah dort ganz und gar anders aus …
Im Urwald hat man eine sehr limitierte Essensauswahl. Wir bekamen fast immer dasselbe: Fleisch, Fisch, Sago – das Herz einer Sumpfpalme –, Reis, Süßkartoffeln, Cornflakes mit Milchpulver, Brotfrucht, ab und zu Eier, Bananen, Papayas und Kasbi, die Wurzel eines kleinen Baumes, die so ähnlich schmeckt wie Kartoffeln. Später haben wir auch verschiedene Kürbisse angepflanzt. Wenn das Wasser über die Ufer trat und unsere Ernte zerstörte oder die Wildschweine durch den Zaun brachen, hatten wir noch weniger Auswahl. Doch als Kinder kannten wir nichts anderes.
Was wir wohl am häufigsten aßen, war die Brotfrucht oder
Kwa,
wie die Fayu sie nannten. Wie bereits erwähnt, hatten wir einen Brotfruchtbaum direkt neben unserem Haus, und wann immer wir Hunger bekamen, kletterte einer unserer Freunde mit einem langen Stock, an dessen Spitze ein Messer befestigt war, in den Baum und schnitt die Frucht herunter. Wir mussten sie nur noch aufsammeln und ins Feuer legen.
Wenn sie außen ganz schwarz war und vor Hitze glühte, nahmen wir sie mit einem Pfeil heraus, und ein Fayu zerbrach sie mit dem bloßen Fuß auf dem Boden. Ich bewunderte das und wollte es unbedingt auch probieren, hatte aber nicht bedacht, dass meine Fußsohle längst noch nicht so dick und widerstandsfähig war wie die der Fayu. Während ich also mit meiner Ferse so hart presste, wie ich konnte, spürte ich plötzlich ein scheußliches Brennen, schrie auf und hüpfte auf dem anderen Fuß davon. Christian fand das sehr komisch und lachte. Mama aber schimpfte mich aus, wie ich denn so unvernünftig sein konnte.
Ich hatte richtiggehende Brandwunden an meiner Fußsohle und humpelte noch tagelang. Es hat lange gedauert, bis ich noch einmal wagte, eine
Kwa
mit dem Fuß zu knacken. Doch dieses Mal gelang es mir; durch das ständige Barfußlaufen hatte ich Fayu-Füße bekommen.
Andere Lieblingsgerichte von uns Kindern waren weniger leicht zu haben: Schlangenfleisch und Krokodilfleisch.
Eines Abends brachten uns die Fayu zwei lange Schlangen. Sie behaupteten, dass man sie sehr gut essen könne. Also tauschte Papa ein paar Gegenstände gegen ein paar Stücke Schlangenfleisch, und tatsächlich, es schmeckte köstlich! Weißes Fleisch, zart und süß. Ich habe nie wieder in meinem Leben so gutes Fleisch gegessen.
Nakire vor einem erbeuteten Krokodil
Auch wenn die Fayu auf Krokodiljagd gingen, freuten wir uns schon den ganzen Tag auf das üppige Festmahl, das uns am Abend erwarten würde. Nach erfolgreicher Jagd bauten die Fayu in bewährter Weise ein Holzgestell über dem Feuer und legten das Fleisch darauf. Nach ein paar Stunden des Wartens hatten wir dann das köstlichste Essen der Welt. Auf die gleiche Weise verfuhren sie mit Wildschwein, Straußenfleisch, Kängurufleisch oder Fisch.
Als ich Jahre später nach Europa zurückkehrte, dauerte es sehr lange, bevor ich das Fleisch hier essen konnte. Es schmeckte alt und bitter. Judith hingegen konnte sich überhaupt nie an den Geschmack von Fleisch hier im Westen gewöhnen. Oft bekam sie sogar einen Hautausschlag davon. Vor ein paar Jahren entschloss sie sich, ganz auf Fleisch zu verzichten.
An den Abenden nach der Krokodiljagd pflegten wir lange ums Feuer zu sitzen und der Sonne zuzusehen, wie sie ihren goldenen Abschied nahm. Die Insekten und Vögel sangen ihre Abendlieder, die Luft war mit Rauch gesättigt, vermischt mit dem süßen Duft des Urwalds. In dieser gelösten Atmosphäre erzählten die Fayu uns von der Jagd. Das Fantastische daran war, dass sie nicht nur in Worten erzählten, sondern ihre Erlebnisse zu zweit oder dritt nachspielten wie im Theater. Ich lauschte ihren Geschichten und beobachtete ihre
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