Dschungelkind /
Jayapura. Was ist passiert?«, kam die besorgte Stimme des Missionspiloten durchs Radio.
»Jim«, antwortete Papa, »ich muss dringend mit meiner Frau sprechen. Kannst du ihr bitte sagen, dass Judith ihre Tage bekommen hat und ich nicht weiß, was ich machen soll?«
Ein spitzer Schrei kam aus dem Schlafzimmer. »Musst du gleich ganz Irian Jaya mitteilen, dass ich meine Tage habe?«, heulte Judith wütend vom Bett aus. »Es geht niemanden was an! Und wenn ich die ganze Woche im Bett bleiben will, dann tu ich das auch!«
Ich verdrehte die Augen. Warum musste Judith immer so dramatisch sein? Der arme Papa sah völlig verzweifelt aus.
»Können wir dir vielleicht eine Hütte im Urwald bauen?«, fragte Christian hilfsbereit.
»Nein!«, schrie Judith zurück.
Zu unserer großen Erleichterung kam Mama zwei Tage später wieder. Sie übernahm die Kontrolle, und nach ein paar Tagen hatte sich das Leben wieder beruhigt.
Mein Verhältnis zu meiner Schwester jedoch hat sich von da an verändert. Wir waren Verbündete geworden, und obwohl ich sie immer noch nicht so recht verstand, merkte ich doch, dass wir uns näher standen. Judith war gerade zwölf Jahre alt geworden.
Meine Freundin Faisa
Z u Beginn unseres Aufenthaltes bei den Fayu spielten wir ausschließlich mit Jungen. Die Fayu-Mädchen waren sehr schüchtern und beteiligten sich nicht an den wilden Spielen, die wir so liebten. Ich kann mich nicht erinnern, dass sie jemals mit uns im Wasser Krokodile nachgeahmt oder mit Pfeil und Bogen Insekten gejagt hätten. Sie beobachteten uns nur, oft ganz aus der Nähe. Der Grund dafür lag in ihrer Kultur, in der die Aufgaben der Frauen und Männer von Kindheit an völlig verschieden und klar getrennt waren.
Doch es gab ein Fayu-Mädchen, sie war ungefähr in meinem Alter, die sich besonders gern in meiner Nähe aufhielt und sehr neugierig meine Tätigkeiten verfolgte. Ich weiß nicht mehr genau, wie unsere Freundschaft begann – habe ich sie angesprochen oder sie mich? Irgendwann jedenfalls war sie einfach ein Teil meines Lebens. Ihr Name war Faisa.
Faisa war ein besonders hübsches Mädchen. Sie hatte große, klare Augen, ihre Haut war sehr rein und nicht von Hautpilz oder anderen Krankheiten verunstaltet. Wenn sie lächelte, strahlte ihr Gesicht so hell wie die Sonne. Immer mehr Zeit verbrachte ich mit ihr, und sie begann, mir die Aufgaben der Frauen beizubringen. Wie man zum Beispiel aus Baumrinde lange Fäden spinnt und daraus Netze häkelt, mit denen man dann fischen gehen kann. Oder wie man ein kleines Tier in Sago einwickelt und kocht. Manchmal, nach dem Schwimmen, legte sie sich neben mich auf einen Baumstamm, und wir wärmten uns gemeinsam in der Sonne. Und manchmal saßen wir einfach zusammen am Feuer und starrten vor uns hin.
Als wir ungefähr zehn Jahre alt waren, setzte bei Faisa die Pubertät ein. Ihre Brüste begannen sich zu entwickeln. Ich wusste zwar, dass die Fayu-Mädchen schon in diesem Alter zur Frau genommen wurden, doch bei Faisa konnte ich mir das einfach nicht vorstellen. Sie war meine Freundin, war gleichaltrig. Für mich war sie noch ein Kind, genau wie ich.
Faisa hatte auch eine »beste Freundin« unter den Fayu-Mädchen. Ich erinnere mich leider nicht mehr an ihren Namen. Sie war etwas älter als wir, und ich mochte sie nicht besonders; sie ärgerte uns manchmal und lachte schrill und laut, wenn wir etwas taten, was sie als komisch empfand. Ihr Körper war übersät mit Hautpilz, ihr fehlten bereits Zähne, und sie konnte richtig gemein sein, wenn ihr irgendetwas nicht passte. Ich spielte trotzdem mit ihr, denn bei so wenigen Spielkameradinnen kann man nicht wählerisch sein. Und eines Tages erwies sich auch, dass sie eine sehr gute und mutige Freundin war.
Es war spät am Nachmittag, ich spielte gerade mit Faisa auf der Sandbank. Wir waren vollkommen vertieft, als ich plötzlich aus der Ferne Schreie hörte. Es war mal wieder Faisas Freundin, doch diesmal war es nicht das übliche Gezeter, sondern es lag etwas anderes, Dringliches in diesem Schrei. Ich spürte sofort, dass Gefahr im Anzug war, bemerkte aber nichts Bedrohliches – kein Wildschwein, keine Schlange, keine feindlichen Krieger … Da kam Faisas Freundin aus dem Urwald gerannt, sprang in ein Kanu, das ganz am Ende der Sandbank angebunden war, und paddelte wie eine Verrückte auf uns zu. War sie in Gefahr? Wollte sie uns vor etwas warnen?
Faisa schaute verwirrt um sich, konnte aber auch nicht ausmachen, was geschehen war.
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