Dschungelkind /
ihnen ein Stück Seife und bat sie, am nächsten Morgen bei Sonnenaufgang zu uns zu kommen. Ich nahm an, dass sie dann so gegen 9°° Uhr auftauchen würden. Die meisten Kinder müssen ja erst über den Klihi-Fluss rudern, dann durch den Sumpf laufen und schließlich den ganzen Hügel heraufsteigen. Unter einer Stunde ist das nicht zu machen, du weißt es ja selbst.
Aber deine arme Mutter hatte sich sehr verrechnet! Kaum war es hell geworden, da wurde ich von Kinderstimmen wach, und zwar von sehr lauten Kinderstimmen. ›Oh nein, Klaus-Peter, so war das aber nicht gemeint‹, habe ich zu deinem Papa gesagt.
›Tja, meine Liebe‹, antwortete er, ›du hast vergessen, ihnen zu sagen, wo die Sonne stehen soll, wenn sie hier ankommen!‹
Das war meine erste Lektion in Sachen Schule. Mir blieb nichts anderes übrig, als aufzustehen und mich fertig zu machen für die erste Schulstunde.
Erst einmal habe ich sie alle in einer langen Reihe aufgestellt und ließ die 10- bis 14-Jährigen einen Schritt vortreten. Na ja, die Ältesten eben – darunter auch Tuare, der dauernd nach dir fragt, Klausu Bosa, Diro, Bebe, Atara, Isori und Abusai. Sie sollten sich zusammen auf den Rasen setzen, und ich sagte ihnen, dass sie nun die ›Claas Tiga‹ (Klasse drei) seien. Von jetzt an sollten sie jeden Morgen sauber gewaschen vor der Schule erscheinen, und zwar durften sie wohl bei Sonnenaufgang losgehen, nicht aber schon hier auf dem Hügel ankommen! Die sonst so wilden Jungen saßen ruhig da und hörten meinen Erklärungen aufmerksam zu.
Danach teilte ich die übrigen Kinder in zwei Gruppen auf: die Mittleren so zwischen 8 und 11 Jahren – ihnen gab ich den Namen ›Claas Dua‹ (Klasse zwei) – und die ganz Kleinen, die ich auf 5 bis 7 Jahre schätzte. Sie waren die ›Claas Satu‹ (Klasse eins). Alle sind sehr stolz auf ihre Namen, ich höre, wie sie sich austauschen: ›Ich bin Claas Satu‹, oder: ›Ich bin Claas Dua‹, und ihre Gesichter strahlen dabei. Sie freuen sich, dass etwas ganz Neues in ihr Leben gekommen ist.
Claas Tiga nahm ich dann mit mir auf die Veranda, die Papa vor kurzem hat bauen lassen. Es waren dreizehn Jungen und zwei Mädchen, die eine ist Doriso Bosa und die andere Fusai. Du würdest Doriso Bosa nicht wiedererkennen! Sie ist eines der hübschesten Fayu-Mädchen hier.
Warum nur zwei Mädchen? Das weiß ich leider auch nicht genau, aber wie du weißt, gibt es einen enormen Männer- und Jungenüberschuss hier, und außerdem müssen die großen Mädchen ihren Müttern beim Sagoschlagen helfen.
Papa hatte inzwischen schon einige Sachen zusammengestellt. Meine neuen Schüler setzten sich, und jeder bekam: ein Stück Seife zum Kleiderwaschen und ein Stück Seife, um im Fluss zu baden. Außerdem ein T-Shirt, ein Paar Shorts, ein Malheft und einen Bleistift. So begann unsere erste Schulstunde.«
»Wir wollen nach Vevey, uns ein wenig umschauen. Hast du Lust mitzukommen?«, fragte mich Leslie.
»Oh ja!«, antwortete ich.
Wir gingen los, und plötzlich machten die Mädchen an einer Busstation Halt.
»Was ist los?«, fragte ich erschrocken. »Ich dachte, wir wollten nach Vevey?«
»Da fährt man mit dem Bus hin, es ist zu weit zum Laufen.«
Ich schaute besorgt die Straße hinunter.
»Was ist, Sabine?«, fragte Leslie.
»Leslie«, flüsterte ich ihr zu, »ich bin noch nie in meinem Leben mit einem Bus gefahren. Was muss ich tun? Ich habe Angst!«
Leslie lachte und klärte mich über alles Nötige auf. Es dauerte aber noch eine ganze Weile, bis ich den Mut hatte, allein in einen Bus zu steigen.
Überhaupt machte mir der Straßenverkehr am allermeisten zu schaffen. Autos kannte ich natürlich, aber hier gab es so unglaublich viele, und sie rasten so unglaublich schnell! In Jayapura waren die Straßen zum größten Teil so mit Löchern übersät gewesen, dass die wenigen Autos, die darauf fuhren, dazu noch sehr langsam waren.
Jedes Mal, wenn wir ohne Ampel eine Straße überqueren mussten, fing ich an zu schwitzen. Ich konnte die Geschwindigkeit nicht einschätzen, hatte panische Angst, angefahren zu werden.
Eines Tages standen wir wieder einmal auf dem Bürgersteig, Autos rasten von beiden Seiten an uns vorbei, und als es eine kleine Lücke gab, rannten all meine Freundinnen über die Straße. Ich aber blieb wie versteinert stehen.
»Sabine, komm endlich!«, riefen mir die Mädchen zu. Ich schaute die Straße hinauf, sah Autos und immer nur Autos, sah die Mädchen in weiter Ferne
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