Dschungelkind /
kaufte mir einen Stapel Zeitschriften. Nach einigen Wochen kannte mich die Verkäuferin schon und begrüßte mich mit Namen. Ich glaube, dass ich zu dieser Zeit ihre beste Kundin war.
Ich ging zurück auf mein Zimmer, las alles genauestens, schaute mir die Bilder an, merkte mir Namen und Gesichter. Immer wenn ich dachte, dass ich nun alle kannte, kamen neue hinzu. Es war verwirrend. Kaum hatte ich zum Beispiel die Rockstars im Griff, hieß es: »Was? Du weißt nicht, wer Boris Becker ist?!«
Ich seufzte nur leise, ging wieder zu meinem Laden und fragte nach den Sportzeitschriften. Danach kamen Politik, Musicals, Opernsänger und so weiter und so fort. Es schien niemals ein Ende zu nehmen mit dem, was man so als die westliche Kultur bezeichnet. Doch mein Wille war eisern, ich gab nicht auf.
Auch die Wunder der Kommunikationstechnik schüchterten mich eher ein, als dass sie mich begeisterten. Eines Tages, bei der Postverteilung, wurde ein Mädchen aufgerufen, das ein Fax bekommen hatte. Ein Fax? Was war das? Ich drehte mich zu Leslie, die bereits tief Luft geholt hatte, weil sie wusste, dass sie wieder einmal gefragt war … doch diesmal glaubte ich ihr nicht. Nein, das konnte nicht sein, dass man ein Blatt durch eine Maschine schob und es auf der anderen Seite der Welt genau so wieder herauskam. Wie sollte ein Blatt durch ein Kabel gehen? Dasselbe geschah, als ich zum ersten Mal ein Handy sah.
Ich war fassungslos, es schien mir wie Magie.
In diesen Tagen wurde mir endgültig bewusst, wie anders diese Welt doch war als die, in der ich aufgewachsen war. Ein kleiner Zweifel kroch in mein wild entschlossenes Herz, ich fühlte mich verloren und überfordert. Als ich wieder einen Brief von Mama bekam, freute ich mich auf ein wenig »Normalität« …
»Meine liebe Sabine,
es gibt so viel zu erzählen! Und es ist einfach klasse, dass heute der Hubschrauber kommt und diesen Brief gleich mitnehmen kann. Hier im Fayu-Land ist es eben manchmal nicht so einfach, sich mitzuteilen …
Ich beherrsche die Fayu-Sprache immer noch nicht so gut wie dein Vater, und in der Schule gibt es dann großes Gelächter. Solange ich auf Gegenstände zeigen kann oder sie an die Tafel malen, geht es ja noch. Aber wie sollte ich ein Fayu-Wort finden für Begriffe wie Treue, Zuverlässigkeit und Ähnliches? Mit allen abstrakten Begriffen ist es schwer.
Da tun wir uns leichter mit unseren Mathematikaufgaben. Das mit den Glaskugeln klappt inzwischen gut, ob ich nun drei Stück verlange oder vier oder sechs. Ich gehe immer von einem Schüler zum anderen und wiederhole und wiederhole.
Einen Jungen, dem es sehr schwer fällt, schicke ich mit einem anderen zusammen auf die Veranda und lasse die beiden üben. Plötzlich geht es dann. Und jetzt können sie den Erwachsenen sagen: ›Heute habe ich vier Schweine gesehen!‹ Oder sie kommen aufgeregt nach Haus und erzählen: ›Apho (Papa), unser Schwein hat fünf Junge bekommen.‹ Sie nehmen die Hand ihres Vaters und zeigen ihm die fünf Finger. Die Väter sind stolz, denn ihre Söhne und Töchter können nun etwas, was kein Erwachsener kann.
Mit den großen Jungen der Claas Tiga habe ich jetzt auch begonnen, das Alphabet zu lernen. Ich bin noch immer sprachlos, dass es nur eine Woche gedauert hat, bis sie die Buchstaben von A bis J kannten. Eigenartig ist auch, dass gerade die Jungen, die von Anfang an so große Schwierigkeiten mit dem Rechnen gehabt hatten, beim Alphabet absolut keine Probleme haben. Und als sie ihr Alphabet kannten, fing ich mit Silben an. Es dauerte tatsächlich nicht lange, da konnten die Fayu-Kinder ihre Namen lesen und schreiben …
Die Begeisterung ist unglaublich groß. Ich bin so stolz auf meine Schüler. Papa hat vorgeschlagen, dass wir auch eine Klasse für Erwachsene gründen könnten, ich bleibe aber lieber bei den Kindern. Schließlich kenne ich die meisten schon, seit sie ganz klein waren, fast wie bei meinen eigenen Kindern, die jetzt alle in der Weltgeschichte herumgondeln. Ich hoffe so sehr, liebste Sabine, dir geht es gut und du lernst eine Menge für dein Leben …«
»Sabine, weißt du, was ein Kondom ist?«, fragte mich meine Lehrmeisterin Leslie eines Abends.
»Kondensmilch?«, gab ich verschlafen zurück.
Leslie lachte. »Nein, nichts zum Trinken. Ein Kondom benutzt man, um Safer Sex zu haben.«
»Safer Sex? Kann man denn gefährlichen Sex haben?« Jetzt war mein Interesse geweckt.
»Komm, ich zeige es dir«, sagte sie und holte eine Banane, riss
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