DSR Bd 4 - Das Schattenlicht
das Laboratorium. Cass betrat es zuerst und wurde von einem Anblick und einem Gestank empfangen, die ihr den Atem raubten. In der gewaltigen Feuerstelle am anderen Ende des Raums stand ein riesiger schwarzer Kessel, und in einem dampfenden Bad brodelte fröhlich der kräftige, gehörnte Kopf eines Ochsen; die davon ausgehenden widerlichen schwefelhaltigen Ausdünstungen stachen in den Nasenöffnungen mit der aggressiven bitteren Note faulender Eier. Die Kammer selbst sah aus wie der Abstellraum für ein »Museum des Sonderbaren und Gruseligen«. Überall gab es Regale, und sie waren alle vollgestopft, soweit Cass erkennen konnte, mit Krügen, Schachteln, Tontöpfen und Käfigen, die wahrlich stöhnten unter der ganzen Mannigfaltigkeit merkwürdiger Gegenstände darin: Es schien einfach alles zu geben – von Straußeneiern und Seidenraupenkokons bis hin zu getrockneten Eidechsen und Kohlestücken. Es gab Werkzeuge von äußerst geheimnisvoller Konstruktion, deren Verwendungen nicht erraten werden konnten, ebenso Messbecher und Kochtöpfe, Mörser und Stößel, Zangen, Kneifer, Messer und Löffel jedweder Größe.
»Bitte, hier entlang«, sagte Gustavus. »Dann können wir vertraulicher miteinander reden.«
Er führte die kleine Besuchergruppe durch das Laboratorium zu einer Kammer dahinter, die voller Bücher war. Wenn das Laboratorium eine Abteilung von »Euer altes Kuriositätengeschäft« darstellte, dann, so befand Cass, war diese Studierstube dessen Raum mit seltenen Büchern. Es war keinesfalls ein großes Zimmer und wurde sogar noch kleiner durch die vom Boden bis zur Decke reichenden Regale, die jede Wand säumten. Jedes Büchergestell war mit ledergebundenen Bänden jedweder Größe vollgestopft – bis zur völligen Belastungsgrenze. In der Mitte des Raums stand ein Tisch, auf dem sich Bücher, Papiere und Schriftrollen häuften. Es gab drei Stühle am Tisch und eine Bank an einer Seite. Gustavus bot Wilhelmina und Gianni jeweils einen der Einzelsitzplätze an; er selbst nahm den dritten, und Kit und Cass teilten sich die Bank.
»Danke schön, Gustavus, dass Ihr zugestimmt habt, uns zu treffen«, begann Mina. »Wir werden versuchen, Euch nicht zu viel von Eurer Zeit zu nehmen.«
»Bitte, Jungfer Wilhelmina, meine Zeit gehört Euch.«
»Ich komme sogleich zur Sache«, erwiderte sie. »Ihr erinnert Euch an jene Instrumente, die Ihr für mich angefertigt habt? Die Schattenlichter?«
»Natürlich, ja«, antwortete der junge Alchemist. Er beugte sich nah heran und flüsterte mit einem listigen Lächeln: »Es bleibt unser Geheimnis – dessen könnt Ihr Euch sicher sein.«
»Ich fürchte, ich muss weiterhin Eure Verschwiegenheit ausnützen«, sagte Mina. »Wir möchten, dass Ihr noch einige mehr davon herstellt.«
»Sechs davon«, fügte Kit hinzu. »Um genau zu sein.«
Gustavus starrte sie ungläubig an und saugte an seinen Zähnen. »So viele?«
»Wir haben etwas Unerwartetes erlebt«, gestand Mina. »Etwas Außergewöhnliches.« Sie fuhr fort, indem sie beschrieb, was geschehen war, als sie, Kit und Gianni unvermutet einem extrem starken tellurischen Energiefeld begegnet waren – einem Bereich von solcher Kraft, dass es die Apparaturen zerstört hatte. »Die Lampen wurden so heiß, dass sie beinahe in unseren Händen geschmolzen sind.«
Beeindruckt von dieser Information, nickte der Alchemist verständnisvoll. »Das wäre extrem heiß, wie Ihr gesagt habt.«
»Noch fremdartiger war«, fügte Kit hinzu, »dass die Energie nicht auf eine Linie beschränkt war – sie schien in einem riesengroßen Baum enthalten zu sein. Und sie war so stark, dass sie die Lampen vollkommen zerstört hat. Sie ausgebrannt hat. Ffftt!«
»Die Vorrichtung ist kaputt?«, fragte der Alchemist.
»Vollkommen tot«, antwortete Kit. Er zog seine erloschene Ley-Lampe aus seiner Tasche und reichte sie dem Alchemisten.
»Alle beide«, sagte Mina. »Kaputt.«
Gustavus untersuchte die Vorrichtung, deren einst glänzende Messingschale nun stumpf und verformt war, entstellt durch die Hitze des Energiestoßes, der sie zerstört hatte. »Das muss sehr aufregend gewesen sein«, merkte er an.
Cass musste ein Lächeln unterdrücken wegen des sehr starken Akzents – serr oof riegend –, mit dem er Englisch sprach.
»Es war erstaunlich«, gestand Mina ein. »Ich hatte ja keine Ahnung, dass ihnen so etwas passieren würde.«
»Habt Ihr Eure Lampe bei Euch?«
»Meine war die neuere Version, erinnert Ihr Euch«, sagte sie und reichte
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