Du bes Kölle: Autobiografie
Neurotiker, denke ich manchmal. Jedes Problemchen wird tausend Mal gewälzt, alles wird recherchiert und rekapituliert. Früher haben die Leute sich nicht so viele Gedanken gemacht, wir jedenfalls nicht. Dass wir zusammenziehen, heiraten, Kinder kriegen wollten, war alles ganz selbstverständlich für uns. Und auch, dass man mit den Kindern nicht wartet bis in alle Ewigkeit. Ich bin heilfroh darüber, dass ich meine Jungs so früh bekommen habe. Ich bin gerade einmal 20 Jahre älter als die, das ist nicht viel. Ich will nicht sagen, dass wir wie Brüder sind. Aber man ist sich doch auf eine andere Art nah als beispielsweise mein Vater und ich. Der war bei meiner Geburt schon 46.
Irmgard war meine Frau und meine Liebe. Und in meiner Familie hatte es immer Kinder gegeben, überall. Neun Geschwister, die fast alle auch wieder Pänz gezeugt haben. Ich weiß nicht, wie viele Neffen und Nichten ich habe, inzwischen kann ich sie kaum noch zählen. Aber eine große Familie zu haben, ist etwas Schönes. Und es geht immer weiter, auch bei meinen Söhnen: Ilja hat zwei Pänz und Kai einen Sohn, genau wie René. Vorerst. Eigentlich würde ich heutzutage gerne mal ein großes Familientreffen organisieren. Zwei meiner Nichten sind mit Italienern verheiratet, deshalb habe ich bei mir zu Hause mal einen italienischen Abend veranstaltet. Und natürlich kommen immer wieder Familienmitglieder zu meinen Weihnachtsengel-Shows. Aber regelmäßige Familienfeiern gibt es bei uns nicht, dafür ist der Kreis inzwischen leider zu groß und lebt zu weit verstreut.
Dass man für eine wachsende Familie nicht unbedingt viel Platz braucht, haben Irmgard und ich damals hinlänglich bewiesen. Unsere erste eigene Wohnung in der Grengeler Waldstraße hatten wir über Peter Rehbach bekommen, einen Freund von mir, der dort vorher gelebt hatte. Sie war gerade einmal 33 Quadratmeter groß und kostete uns damals 140 Mark Miete. Eigentlich bestand sie nur aus einem großen Raum mit einem Fenster zum Garten raus. Da haben wir gewohnt, bald mit drei kleinen Kindern. Kai als der Kleinste schlief im Winter immer in der Küche. Eisig kalt war es da, aber er lag bis obenhin zugedeckt im Kinderwagen. René und Ilja lagen im Kinderbett gegenüber von uns. Und wir selbst machten es uns schließlich auf unserer ausklappbaren Couch gemütlich.
HERINGE UND MAYONNAISE
Mit meinen wechselden Bands war geldmäßig nicht viel zu reißen. Um also die Familie über Wasser zu halten, nahm ich jeden Job an, den ich kriegen konnte. Beziehungsweise jeden, der sich nur irgendwie mit der Musik vereinbaren ließ. Das Schärfste in der Hinsicht war die Stelle bei Bruckmann Mayonnaisen. Dort hatte mein Vater mich hingeschleppt. Eines Tages kam er an und meinte: »Komm, lass uns ein bisschen Geld verdienen.« Dass er einer der früher so erfolgreichen Vier Botze war, schien ihm völlig egal zu sein. Um seine alten Erfolge hat der nichts gegeben. Und dann standen wir plötzlich in einem Lager, in dem es um Mayonnaise, eingelegte Heringe und Ähnliches ging. Hätte ich mir nie träumen lassen, dass ich mit meinem Vater mal zusammenarbeiten würde. Aber dort standen wir mit unseren Hubwagen und fuhren irgendwelche Heringsfässer von einer Ecke in die andere.
Damals war das so: Du klopftest irgendwo an und kriegtest einen Job. Völlig problemlos. Und genauso unkompliziert sind wir dann da wieder raus. Ich schätze, dass wir insgesamt höchstens drei, vier Tage bei Bruckmann Mayonnaisen malocht haben. Hat uns einfach unglaublich gestunken, dieser Job. In jeder Hinsicht. Irgendwann sahen wir uns in unseren Kitteln an, und da war klar: Das war es jetzt. »Jung, loss m’r jon«, sagte mein Vater. Also haben wir unsere Papiere geholt, sind zusammen aus dem Tor raus und waren wieder freie Menschen.
Früher konnten sich die Leute zumindest selbst ernähren, und genug Kohle für Zigaretten war auch noch übrig. Man konnte zu einem Arbeitgeber sagen: »Wissen Sie was, das ist hier nicht das, was ich mir vorgestellt habe. Ich versuche es lieber mal woanders.« Das war selbstbestimmt und selbstbewusst, während der heutige Arbeitslose es wirklich schwer hat. Denn heutzutage bekommen die Menschen nicht mal mehr einen Job, wenn sie wirklich arbeiten wollen. Und selbst wenn sie einen ergattern, reicht das Geld hinten und vorne nicht.
HÜHNERSTALL UND TANTE EMMA
Weitaus entspannter als im Mayonnaisenlager gestaltete sich mein Job als Tankwart. Den hatte ich Charlie Schade von den Black Beats zu
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