Du bist das Boese
ganz bestimmt dieser Mistkerl mit dem Motorrad. Völlig grundlos …«
»Wie sich herausgestellt hat, gab es kurz vorher wohl eine Diskussion zwischen den beiden. Wir haben einen Zeugen, einen Amerikaner aus Texas«, schob der Zwerg hinterher, um der Sache mehr Glaubwürdigkeit zu verleihen.
»Na toll«, sagte sie abschätzig. »Ein verlogener Texaner, genau wie unser Präsident.«
»Der Zeuge hat ausgesagt, die beiden hätten sich wüst beschimpft«, setzte Coppola nach.
»Das stimmt nicht. Der Motorradfahrer hat ›Arschgesicht‹ zu ihm gesagt, worauf Papa ihn ›Wichser‹ genannt hat.«
»Verzeihung, aber woher wissen Sie das so genau?«
»Weil er gleich danach angerufen und mir alles erzählt hat. Wir haben an dem Abend oft miteinander telefoniert. Papa ging es nicht gut, er hatte sich bei mir eine Harnwegsinfektion geholt.«
Coppola hatte die Anruflisten schon überprüft. Um zwei Uhr vierzehn hatte Camarà Carmen auf dem Handy angerufen, kurz nach dem Wortwechsel mit dem Motorradfahrer und kurz bevor er tot aufgefunden wurde. Das Gespräch hatte zweieinhalb Minuten gedauert.
»Was genau hat er gesagt?«, fragte Coppola.
»Er hat mich angerufen, damit ich mir keine Sorgen mache. Er musste oft zur Toilette, aber er hatte keine Schmerzen. Ich fragte, ob es ein ruhiger Abend sei, und er erzählte mir von diesem Kerl auf dem Motorrad, der ihn völlig ohne Grund beleidigt hatte, ein komischer Typ …«
»Der Streit hatte keine Vorgeschichte?«
»Papa sagte Nein.«
Als der Zwerg ging, fühlte er sich in seiner Überzeugung bestätigt, dass Harnwegerkrankungen bei Farbigen ziemlich verbreitet waren.
Den Mann, der ihn vom Bürgersteig gegenüber beobachtete, bemerkte er nicht.
Kurz vor halb zwei ging Balistreri zu Fuß zu Pasquali hoch. Er merkte, dass er aus der Puste war. Vielleicht sollte er die wenigen Zigaretten, die er sich noch gönnte, auch weglassen.
»Er erwartet dich in seinem Arbeitszimmer«, begrüßte Antonella ihn. »Aber du bist fünf Minuten zu früh. Wenn du möchtest, mache ich dir einen Koffeinfreien.«
Von der Geliebten zur Schwester. Sorgt sich um mich und um mein krankes Herz.
Mit einem dankbaren Lächeln nahm er ihr Angebot an.
Als Balistreri eintrat, saß Pasquali hinter seinem imposanten Schreibtisch aus dem neunzehnten Jahrhundert. Mit der Nickelbrille auf der Nasenspitze sah er aus wie ein sanfter Intellektueller, was sehr gut zu ihm passte. Er hätte ein Professor im Ruhestand sein können, aber er war der einflussreichste Funktionär des Innenministeriums.
»Setz dich«, ordnete er ohne Umschweife an. »In zehn Minuten muss ich zum Untersekretär. Ich mach’s also kurz. Diese Geschichte gefällt uns überhaupt nicht.«
Das »uns« betonte er. Ohne zu erläutern, wer der andere war. Der Präsident, der Präfekt, der Untersekretär, der Innenminister, der Papst … Die Anspielung auf den Untersekretär kam allerdings nicht von ungefähr. Balistreri schwieg.
In seiner verhaltenen, ruhigen Art fuhr Pasquali fort. »Eure Anschuldigungen gegen Vicecommissario Colajacono sind indiskutabel. Ihr habt nichts in der Hand. Er hat eine rumänische Prostituierte weggeschickt, die nicht wusste, wo eine andere rumänische Prostituierte war. Als ob das ein Vergehen wäre. Das ist nicht mal ein Versäumnis, das ist überhaupt nichts. Und Colajacono genießt großen Respekt seitens seiner Kollegen und bei den Bewohnern des Viertels.«
»Auch bei denen vom Casilino 900. Respekt wäre sogar stark untertrieben.«
»Rein zufällig ist Colajacono, was das Casilino 900 angeht, der gleichen Ansicht wie du.«
Balistreri schüttelte den Kopf. »Von wegen. Wenn Colajacono ›Räumung‹ sagt, meint er Verhaftung mit Prügel und Zwangsausweisung.«
»Und du?«
»Mir geht es um die Sicherheit der Bürger, nicht um Politik. Diese unwürdigen Lager mitten in Rom sind eine tickende Zeitbombe und müssen so schnell wie möglich in ansprechendere Gegenden außerhalb der Stadt umgesiedelt werden.«
»Dafür braucht man einen politischen Konsens. Wir arbeiten dran.«
»Die Politiker interessieren sich dafür doch nur, wenn es Wählerstimmen bringt. Die Linken wissen wie üblich nicht, was sie tun sollen. Die von der anderen Seite wiederum wissen es nur zu gut: alles auf die lange Bank schieben und Ängste schüren. In der Zwischenzeit gibt es immer mehr Raubüberfälle, Vergewaltigungen und Betrunkene, die mit gestohlenen Autos Pechvögel überfahren. Dank dieser wunderbaren Strategie können wir
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