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Du bist das Boese

Du bist das Boese

Titel: Du bist das Boese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Costantini
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Flanellhemd, Cordhose und schwarzem Wollpullover. Trotz der feuchten Kälte trug er weder Mantel noch Hut. Sein Husten war schlimmer denn je.
    Balistreri streckte ihm zum Gruß die Hand entgegen.
    »Guten Tag«, sagte Hagi, ohne ihm die seine zu reichen. Sein Auftreten war nicht direkt abweisend, aber auch nicht höflich.
    »Ich danke Ihnen für Ihr Kommen, Signor Hagi. Wie Sie wissen, sind Sie nicht dazu verpflichtet. Ich würde nur gern ein kurzes informelles Gespräch mit Ihnen führen und eine Runde durchs Lager drehen.«
    Im Casilino 900, das seit über dreißig Jahren existierte, lebten zirka siebenhundert Menschen, darunter viele Frauen und Kinder, alle aus Rumänien, Mazedonien, Bosnien, dem Kosovo und Montenegro. Vor dem Haupteingang war ein Streifenwagen der Polizei postiert. Die unbefestigten Wege, die an Containern und selbst gebauten Hütten entlangführten, waren voller schlammiger Pfützen und mit Schrott und organischem Abfall verdreckt.
    Weit und breit nichts als Müllberge, vollgehängte Wäscheleinen und Autowracks. Anschlüsse für Wasser oder Gas gab es keine. Einige Baracken waren stümperhaft mit Stromkabeln ungewisser Herkunft verbunden, in anderen sah man, inmitten von allerlei brennbarem Material, den flackernden Lichtschein von Kerzen. Die sanitären Anlagen bestanden in chemischen Toiletten, und über allem hing der Gestank von Unrat und Urin. Auf ihrem Gang durchs Lager wurden Hagi und Balistreri von Kindern und Erwachsenen bedrängt, Gegenstände zu kaufen, die man irgendwo in Rom aus Müllcontainern oder, schlimmer noch, Handtaschen gefischt hatte. Andere Kinder rannten lachend und krakeelend zwischen Pfützen und Müllbergen herum und spielten Ball.
    Nicht weit vom Lager sah man die Deponie, in deren Nähe Samantha Rossis geschundene Leiche aufgefunden worden war. Das kleine illegale Zeltlager dahinter, in dem man damals die drei Rumänen mit Samanthas Armband aufgespürt hatte, war längst geräumt.
    Hagi sah Balistreris Blick und ahnte, was ihm durch den Kopf ging.
    »In ein paar Jahren müssen Sie die drei ohnehin wegen guter Führung entlassen. Bei uns in Rumänien wären sie früher gepfählt worden.«
    Am liebsten hätte Balistreri ihm entgegengehalten, dass einige von Hagis Schützlingen möglicherweise auch solche Bestien waren. Aber er war nicht gekommen, um über Samantha Rossi zu reden, sondern über Nadia.
    »Wir bemühen uns, ein zivilisiertes Land zu sein, Signor Hagi.« Das sagte er ohne große Überzeugung und in erster Linie als Vertreter der Institution, für die er arbeitete.
    »Eine strenge Justiz bedeutet Zivilisation, Balistreri. In Italien herrscht keine Zivilisation, sondern Duckmäusertum. Was Sie Toleranz nennen, existiert nur, solange in diesem Land Altenpfleger, Prostituierte und Tagelöhner zum Tomatenpflücken gebraucht werden. Wärt ihr nicht auf sie angewiesen, würdet ihr doch jeden Einwanderer, der sich nicht an die Regeln hält, am Straßenrand kreuzigen wie die alten Römer.«
    Während Hagi ihn durch die Baracken führte, spürte Balistreri Dutzende von Augen auf sich ruhen. Es musste sich herumgesprochen haben, dass er Polizist war. Hagi bemerkte sein Unbehagen.
    »Hier sind Sie sicher, keine Angst.«
    »Weil ich mit Ihnen zusammen bin?«
    »Nein. Weil hier drin keiner so dumm wäre, einen Polizisten anzurühren.«
    In diesem Moment trat eine ältere Roma-Frau mit zwei dampfenden Zinnbechern an sie heran und reichte sie Hagi und Balistreri ehrfurchtsvoll. Sie bedankten sich und nippten an dem Tee. Hagi rauchte ununterbrochen. Obwohl ihn der Husten schüttelte, zündete er sich mit dem Stummel der einen Zigarette die nächste an. Sein ausgemergeltes Gesicht war totenbleich, doch die schwarzen Augen unter den dichten Brauen glühten wie Kohle. Dunkle Augenringe betonten sein dämonisches Äußeres.
    An einem Wohnwagen, der etwas komfortabler aussah als die anderen, blieben sie stehen. Mit Filzstift hatte jemand die Nummer 27 darauf geschrieben.
    »Gehen wir doch rein«, schlug Hagi vor. »Hier wohnen Adrian und Giorgi.«
    Hinter dem Wohnwagen war eine kleine Motocross-Maschine an einen Tisch gekettet. Das Innere des Wagens war schlicht, aber nicht so schmuddelig, wie man es von außen hätte erwarten können. Sie setzten sich auf die zwei einzigen Stühle, an einen kleinen, rostigen Emailletisch.
    »Ihre lieben Jungs werden morgen entlassen, Signor Hagi.«
    »Wenn Sie ein wenig Geduld haben, erzähle ich Ihnen etwas.«
    Balistreri zündete sich seine

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