Du bist das Boese
zugelegt hatte. Sie war sehr viel jünger, als Coppola vermutet hatte. Ihr verstorbener Gatte war fast sechzig gewesen. Sie hingegen war höchstens vierzig und sah aus wie Mitte dreißig. Manikürte Hände und Füße, geschmeidige, kräftige Muskulatur. Sehr schlank. Schwarze, eng anliegende Leggings, die ihre Beine betonten. Unnahbarer, gelangweilter Blick. Die Fotos an den Wänden zeigten sie als junge Frau auf dem Laufsteg, in Designerfummeln von Dior, Valentino, Yves Saint-Laurent. Es war sicher nicht einfach gewesen für Corona, den Ansprüchen einer Frau dieses Kalibers gerecht zu werden.
Sie ließ Coppola in einem exquisit möblierten Salon Platz nehmen. »Möchten Sie etwas trinken? Likör, Saft …«
Der Zwerg entschied sich für einen Fruchtsaft. Ihm war unbehaglich zumute. Er konnte den Blick nicht von ihr abwenden und war sicher, dass sie sich dessen deutlich bewusst war. Zum Glück setzte die Frau sich hin und schlürfte an einem Grapefruitsaft. »Wie kann ich Ihnen helfen, Ispettore?«
»Im Bella Blu, einem Lokal der ENT , wurde ein junger Mann ermordet.«
»Das ist mir bekannt. Ich habe den armen Camarà mal im Sport Center gesehen, dort gibt es hervorragende Spinning-Geräte.«
Coppola war überrascht. »Dann kannten Sie Signor Camarà?«
»Kennen ist übertrieben, aber ich wusste, wer er ist. Und vor ein paar Tagen habe ich gelesen, dass er in einem Streit vor dem Bella Blu erstochen wurde.«
»Wussten Sie denn, dass er dort arbeitet?«
Ornella Corona hatte eine mehr als verwirrende Art, ihre Beine übereinanderzuschlagen. Am Handgelenk trug sie eine auffällige Uhr mit schwarzem Zifferblatt, von dem ihm ein weibliches Auge mit langen Wimpern zuzwinkerte.
»Zu Lebzeiten meines Mannes arbeitete Camarà noch nicht im Bella Blu. Ende 2004 habe ich meinen Anteil an der ENT verkauft, und seither bin ich nicht mehr auf dem Laufenden.«
»Sie haben an Avvocato Ajello verkauft.«
Kleines Naserümpfen. »Ja genau. Wem hätte ich ihn auch sonst verkaufen sollen?«
»Haben Sie mit dem Erlös diese Wohnung bezahlt?«, ließ Coppola fallen.
Zum ersten Mal schien sie dem Zwerg überhaupt Beachtung zu schenken. Sie dachte nach, dann entschied sie sich. »Vermutlich muss ich Sie gar nicht erst fragen, woher Sie wissen, dass ich kürzlich diese Wohnung gekauft habe. Allerdings würde mich doch interessieren, was das mit dem Tod von Camarà zu tun haben soll.«
»Ehrlich gesagt glaube ich auch nicht, dass es da einen Zusammenhang gibt, ich muss mich also für die Frage entschuldigen. Wenn ich es recht verstehe, schließen Sie aus, dass Ihr Mann Camarà kannte.«
»Das können Sie definitiv ausschließen«, sagte sie trocken. Dann wurde ihr Ton wieder herzlicher. »Möchten Sie mir nicht verraten, warum Sie mir all diese Fragen über meinen Mann und mich stellen? Dann wäre ich vielleicht entspannter und könnte besser auf Ihre Anliegen eingehen.«
Die verdreht mir den Kopf. Vorsicht, Coppola, mach jetzt keinen Unsinn.
»Wir prüfen nur das berufliche Umfeld von Signor Camarà, wissen Sie. Das Verbrechen hat sich schließlich im Bella Blu ereignet.«
»Wie gesagt, es gab da diesen Streit mit einem Gast …«
»Richtig, es gab diesen Streit. Aber das könnte doch auch ein ehemaliger Angestellter des Bella Blu gewesen sein, wer weiß. Können Sie sich erinnern, dass Ihr Mann jemals über einen besonders aggressiven Mitarbeiter gesprochen hat?«
»Na ja, höchstens Pierre, der Barmann. Ich glaube, der war sogar schon im Gefängnis«, sagte sie sofort. Dann stand sie auf und schenkte sich noch einen Grapefruitsaft ein. Kaum ein halber Meter trennte Coppola von ihrem süßen Po. Er errötete, schnappte ihren Blick im Spiegel auf und errötete noch mehr. Wie ein Teenager, den man mit dem Playboy auf dem Klo ertappt hatte, fühlte er sich. Sie setzte sich wieder hin.
»Ich denke, mein Mann hätte die ENT so oder so verlassen, auch wenn er nicht diesen Unfall gehabt hätte.«
»Er hätte die ENT so oder so verlassen, auch wenn er nicht diesen Unfall gehabt hätte?«, wiederholte der Zwerg, noch ganz benommen von seiner mystischen Vision.
Sie fuhr fort. »Er verdiente wenig im Verhältnis zu den vielen Scherereien, die er dort hatte, auch mit den Teilhabern.«
»Kennen Sie die anderen Teilhaber?«, fragte der Zwerg in einem Anflug von Klarheit.
»Nein. Vielleicht habe ich aber mal mit einem telefoniert. Da hat mal jemand auf unserem Privatanschluss angerufen. Er sagte, mein Mann habe sein Handy nicht
Weitere Kostenlose Bücher