Du bist das Boese
Dioguardi schwieg und beobachtete Margherita, als Balistreri ihr vom Beginn ihrer Freundschaft erzählte, von ihren Abenden, ihren Frauen, ihren vertauschten Rollen im Leben: Angelo, der vom kleinen Angestellten zu einem erstklassigen Pokerprofi aufgestiegen war, während der einst so temperamentvolle Balistreri nun im Büro versauerte. Dann schilderte er ihre erste Begegnung damals bei Paola. Wie Angelo sich die Seele aus dem Leib gekotzt hatte, damit er, Balistreri, bei einer Frau landen konnte.
Margherita lachte. »Und du hast auch noch den Köder gespielt! Schäm dich, Angelo.«
»Er war verlobt«, erklärte Balistreri. »Und im Gegensatz zu mir hat er immer an die Liebe geglaubt.«
Bei diesen Worten fuhr Angelo zusammen, als hätte man ihn eines Frevels bezichtigt.
»Hast du die Liebe denn gefunden?«, fragte Margherita. Balistreri hörte ihnen gedankenverloren zu, als säße er an einem anderen Tisch. Die beiden gefielen sich, das war nicht zu übersehen. Seine Entscheidung war spontan und erfüllte ihn mit Erleichterung, fast schon Euphorie. Nachdem er einen Anruf aus dem Büro vorgetäuscht hatte, floh er hinaus in die Nacht. Er wusste schon, wohin.
Er war nur noch auf der Suche nach Mördern, nach Liebe ganz bestimmt nicht mehr.
Es war nicht weit. Ein schöner Spaziergang an diesem kalten Abend. Dann stand er vor dem Eingang des Lokals. Hier war Papa Camarà gestorben, mit aufgeschlitztem Bauch. Er sah die Häuserecke, hinter der das Motorrad aufgetaucht war. Fünfzehn Meter. Der Biker hatte mit laufendem Motor gewartet, bevor er den Senegalesen beschimpft hatte. Und später war er vielleicht zurückgekehrt, um ihn umzubringen. Ein ziemlich dummer Mörder. Warum hatte er ihn vor einem Zeugen beleidigt?
Es war noch früh, nur vereinzelt saßen Gäste an den Tischen. Die Kellner plauderten miteinander. Er ließ sich etwas zu trinken bringen, dann winkte er den Barmann zu sich an den Tisch. Pierre, ein munterer, sympathischer Kerl, bekam keinen Schreck, als er den Polizeiausweis sah. Und er war auch nicht überrascht zu hören, dass Balistreri wegen Camarà gekommen war.
»Haben Sie am Abend der Tat mit ihm gesprochen?«
»Nein, das haben mich Ihre Kollegen auch schon gefragt. Wir sind uns ein paarmal über den Weg gelaufen, wenn er vom Klo gerannt kam. Avvocato Ajello, unser Geschäftsführer, besteht nämlich darauf, dass der Vordereingang ständig besetzt ist.«
»Gibt es noch einen Hintereingang?«
»Ja, hinten zur Gasse raus. Aber der ist immer verschlossen. Nur der Geschäftsführer hat die Schlüssel. Dort lässt er Gäste rein, die direkt in einen der Clubräume gehen. Wir haben einen großen und einen kleinen.«
»Und an jenem Abend?«
»Da fand in dem größeren eine Party statt, ab ein Uhr. Freunde des Sohns vom Geschäftsführer. Der Junge war auch da. Der Chef kam extra aus Perugia, um die Gäste zu empfangen und durch den Hintereingang reinzulassen.«
»Wer war der Gastgeber?«
»Ein Mädchen aus besseren Kreisen, das seinen achtzehnten Geburtstag gefeiert hat. Sie ist mit Fabio befreundet, dem Sohn von Avvocato Ajello.«
»Ich weiß, dass Sie früher einen anderen Geschäftsführer hatten.«
»Corona, klar. Der arme Kerl. Was für ein grausames Ende. Aber vielleicht war es ja auch eine Erlösung.«
»Wie meinen Sie das?«
»Na ja, Sie sind nicht verheiratet, stimmt’s?«
»Hatte er Schwierigkeiten mit seiner Frau?«, hakte Balistreri nach.
»Es war die Hölle«, nickte Pierre. »Den ganzen Ärger hatte Corona nur ihr zu verdanken. Und am Ende hat sie ihn so weit getrieben, dass er alles verlor.«
»Sie meinen seine Stelle hier?«
»Nicht nur die. Corona leitete ein Unternehmen, das dieses und andere Lokale führte. Aber sie wollte, dass er noch mehr Geld nach Hause brachte, egal, wie.«
»Und dann hat er etwas getan, was man als anständiger Geschäftsmann eigentlich nicht tut …«, vermutete Balistreri.
Pierre nickte traurig. Coronas Schicksal schien ihm wirklich nahezugehen.
»Er bekam Ärger mit der Finanzpolizei. Es ging um schwarz betriebene Spielautomaten. Das Problem war nur, dass das gesamte Geld bereits auf das Konto der Signora geflossen war, statt auf das der Teilhaber«, erklärte Pierre.
Balistreri bemerkte, dass Pierre plötzlich nervös wurde. Ein distinguierter, gut gekleideter Herr um die vierzig näherte sich ihrem Tisch.
Pierre stellte sie einander vor. »Avvocato Ajello, unser Geschäftsführer. Dottor Balistreri von der Polizei.«
Der große,
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