Du bist das Boese
Spiegel an der Decke, eine Videokamera.
Ohne Balistreris Schweigen zu beachten, fuhr Mastroianni fort.
»Dann bin ich von Ia ş i weitergefahren nach Gala ţ i, um die Informationen über Mircea und Greg zu überprüfen. Das ist wirklich eine üble Geschichte. Verdacht auf zweifachen vorsätzlichen Mord.«
»Und wen sollen sie umgebracht haben?«, fragte Corvu.
»Zwei Ministerialbeamte a.D. Die beiden Exkollegen hatten sich von ihrer Abfindung und ihrer Pension bei Gala ţ i einen kleinen Bauernhof gekauft. Eines Tages fuhren sie auf den Markt und haben dort, gegen Bargeld, dreißig Lämmer verkauft. Zurück auf dem Hof wurden sie von unseren beiden netten Burschen überfallen und ausgeraubt. Als sie sich wehrten, haben sie ihnen die Kehle durchgeschnitten. Ein Zeuge hat gesehen, wie sie kurz nach der Tat den Bauernhof verließen, und sie wurden verhaftet. Zwei Tage später übernahm allerdings ein angesehener rumänischer Jurist die Verteidigung. Der erwirkte prompt die Haftentlassung und die Rückgabe der Reisepässe. Später wurden die Anklagen gegen Mircea und Greg fallen gelassen.«
»Man muss wohl gar nicht erst fragen, wer ihnen diesen Verteidiger bezahlt hat«, vermutete Corvu.
»Das ist in der Tat nicht bekannt«, endete Mastroianni.
»Aber das Ganze führt uns doch ziemlich weit weg von den aktuellen Problemen«, sagte Corvu. »Erst ein R, jetzt ein E. Und wenn das erst der Anfang ist?«
»Wir sollten aber nicht alles in einen Topf werfen«, meldete Coppola sich zu Wort. »Samantha Rossi war ein anständiges Mädchen, eine italienische Studentin, die andere ein Flittchen vom Balkan. Die hätte ja auch zu Hause bleiben können.«
»Was redest du denn da, schämst du dich gar nicht?«, brauste Corvu auf und verfiel vor Aufregung in den tiefsten sardischen Dialekt.
Balistreri hielt es für höchste Zeit, Schluss zu machen.
Abend
Immer wieder hatte er das Gefühl, dass sie in unterschiedlichen Sprachen miteinander kommunizierten. Sie verstand alles, er nichts.
Eine andere Art von Klugheit, die ich wiedererkenne und die mich erschreckt. Die Klugheit grenzenlosen Vertrauens.
Um den Gedanken an Linda Nardi zu vertreiben, fasste er einen Entschluss.
»Margherita, heute ist der erste Tag im Jahr, da möchte ich nicht allein zu Abend essen.«
Einen Augenblick schien sie verwirrt, doch dann überwogen ihr Zutrauen und der Wunsch, ihm einen Gefallen zu tun.
»Danke, Dottore, das wäre mir eine Ehre. Ich gehe sehr gern mit Ihnen essen.«
Er ging mit ihr in eine angesagte, brechend volle Trattoria unweit der Fontana di Trevi. Margherita sprach ihn die ganze Zeit mit »Dottore« an. Offensichtlich machte sie sich keinerlei Sorgen, dass ihr alter Chef irgendwann über sie herfallen könnte.
Früher hätte ich es sofort nach dem Essen in meinem Spider mit ihr getrieben, vielleicht sogar schon auf dem Hinweg, dann hätte ich mir gleich noch die Restaurantkosten gespart.
Margherita beobachtete zwei uralte Japaner, die ihrem Glück auf die Sprünge helfen wollten, indem sie Münzen in den Brunnen warfen. »Wie rührend, die halten Händchen wie zwei Teenager.«
»Wahrscheinlich wünschen sie sich weitere hundert Jahre zusammen«, witzelte er sarkastisch.
»Sie glauben nicht an die Liebe, Dottore.« Bei diesen Worten errötete sie, als hätte sie sich zu weit vorgewagt.
»Wie meinst du das?«, fragte Balistreri leicht erstaunt.
»Sie glauben nicht daran, dass eine Frau Ihr Leben verändern könnte«, sagte sie kleinlaut.
Balistreri wollte gerade etwas entgegnen, als er eine Hand auf seiner Schulter spürte.
»Michele.« Es war Dioguardi, mit seinem gewohnt offenen Lachen.
»Angelo, was machst du denn hier?«
»Ich habe das Jahr mit einem wichtigen Online-Pokerturnier begonnen. Und jetzt will ich meinen ersten Gewinn feiern.«
Allein. Wie ich, wenn ich nicht die liebe Margherita hätte.
»Setz dich doch auf einen Kaffee zu uns«, schlug Balistreri vor, angetan von der Idee, dass er ihnen Gesellschaft leisten würde.
Angelo setzte sich neben ihn, Margherita gegenüber. Er sah immer noch aus wie ein großer Junge mit seinem Wuschelkopf, dem hellen, etwas zu langen Bart und den großen blauen Augen.
Margherita interessierte sich für Angelo. Er hielt sich zurück, weil er nicht aufdringlich sein wollte, doch sie bestürmte ihn mit Fragen zu seinem Leben als Pokerprofi. Balistreri bestärkte sie in ihrer Neugier, indem er all die guten Taten aufzählte, die Angelo mit seinen Gewinnen finanzierte.
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