Du bist das Boese
und zwar sowohl die katholischen als auch die kommunistischen, die Unternehmer und die Kirche werden doch wohl auch etwas Gutes getan haben, oder?«
»Das waren dieselben, die Mussolini zum Krieg geraten und ihn dann im Stich gelassen haben. Sie saßen in der Industrie und im Vatikan, und nach Kriegsende entdeckten sie plötzlich alle, dass sie Antifaschisten waren.«
»Unsinn, das entbehrt jeder historischen Grundlage, Mike. Mussolini war es, der den Krieg und die Rassengesetze wollte … Die Antifaschisten wurden vom Faschismus verfolgt und ermordet. Wie der libysche Widerstand von den italienischen Militärs.«
Nur Alberto konnte sich mir gegenüber so eine Bemerkung erlauben.
Mein Geschichtslehrer auf dem Gymnasium in Libyen war ein schmächtiger bärtiger Kerl, der Parka, Jeans und Turnschuhe trug. Der junge Linke hatte sich nur wegen der Festanstellung auf einen ungemütlichen Ort wie Tripolis eingelassen und versäumte keine Gelegenheit, uns zu verstehen zu geben, was er von unseren kolonialistischen Großvätern und Vätern hielt. Eines Tages redete er in der Stunde vor der großen Pause über Italo Balbo, Maresciallo Graziani und die anderen Kriminellen, die für die Deportation und das Massaker an den libyschen Rebellen verantwortlich waren. Ich wusste, dass er die Wahrheit sagte, aber das gab ihm noch lange nicht das Recht, unsere Familien mit diesen Machenschaften in Verbindung zu bringen.
Mit zwei anderen, die genauso dachten wie ich, ging ich in der Pause auf dem Schulhof zu ihm.
»Mein Großvater arbeitet seit 1911 in Libyen. Er hat die industrielle Olivenölproduktion eingeführt. Wo vorher nur Sand war, hat er zusammen mit anderen italienischen Siedlern Straßen gebaut. Er hat dafür gesorgt, dass man das Wasser trinken kann. Er hat eine Berufsschule für junge Araber aufgebaut. Und der soll ein Verbrecher sein?«
Unser Lehrer rauchte eine Zigarette, was mich schon deshalb störte, weil es den Schülern verboten war, und musterte uns kühl.
»Darüber reden wir in der nächsten Stunde, Balistreri.«
Ich sah rot. Vergessen der Rat meines Vaters und meines Bruders Alberto: Immer erst bis zehn zählen, Mike . Es war, als hätte ich endlich begriffen, wer ich war, und keine Lust mehr, mich zu verstellen.
Als ich meinem Lehrer den heftigen Stoß versetzte und er aufs Pflaster stürzte, wusste ich, dass mein Leben sich an einem Wendepunkt befand. Irgendwo hatte ich gelesen, dass nur wenige Taten, die wir als Jugendliche begehen, unser späteres Leben prägen. Diese war eine davon.
Während der Lehrer schrie und die Schulkameraden bestürzt zu uns herüberlinsten, packten wir ihn zu dritt. Ich hätte es lieber allein erledigt, aber das war unmöglich. Ich fasste ihn an den Beinen, die beiden anderen griffen sich jeder einen Arm. So schleppten wir ihn zum Goldfischteich und warfen ihn hinein. Einschließlich unserer Schullaufbahn und unserer Angst.
Ich sah meinen Bruder an und lächelte. Ihm war klar, was mir durch den Kopf ging.
»Danke, Bruderherz, du schaffst es immer wieder, mich daran zu erinnern. Aber diese dekadente, korrupte Demokratie liefert das Land an die kommunistische Partei aus, oder schlimmer noch, an die Roten Brigaden.« Davon war ich überzeugt, doch Alberto sah das ganz entspannt.
»So weit wird es nicht kommen, Michele. Du unterschätzt den Pragmatismus der Katholiken, und du überschätzt den Kommunismus. Er macht keinen Sinn mehr, er ist am Ende.«
Natürlich hatte er recht und ich unrecht, wie immer. Diese Debatte führten wir, in leicht abgewandelter Form, schon ein Leben lang. Eine Art Mantra unserer Gegensätzlichkeit.
Angelo verfolgte diese Diskussionen mit Interesse, ohne je seine Meinung zu äußern. Für ihn war das lediglich eine Gelegenheit, uns besser kennenzulernen. Ich blieb mit ihm allein, als Alberto hinausging, um Kaffee zu kochen. Eine Zigarette im Mund, saßen wir vor unserem letzten Glas Wein und beobachteten den Sonntagsverkehr, der zweihundert Meter weiter unten den Tiber entlangkroch.
»Wer auch immer es war, er kannte sie«, sagte ich, ohne ihn anzusehen.
»Ich möchte nicht darüber reden, Michele, nicht als dein Freund. Als Zeuge schon, meinetwegen auch als Verdächtiger. Aber dann nur mit Commissario Teodori und ganz offiziell.«
Angelo war traurig, und Traurigkeit passte so wenig zu ihm, dass es wehtat, ihn so zu sehen.
»Eine Sache nur, Angelo. Hast du Elisa am Sonntagvormittag gesehen oder mit ihr gesprochen?«
»Das habe ich dir doch
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