Du bist das Boese
mich nie richtig um sie kümmern, weder im Leben, noch was die Schule anging. Dieses Jahr ist sie sitzen geblieben. Als sie vor zehn Tagen auch noch durch die Führerscheinprüfung gefallen ist, hat sie am Abend heimlich mein Auto genommen und ist mit einer Freundin ans Meer gefahren. Sie haben bis in die Morgenstunden getanzt und getrunken, und sie haben auch irgendetwas eingeworfen. Auf der Rückfahrt sind sie dann gegen einen Baum gerast. Meine Tochter blieb nahezu unverletzt, aber ihre Freundin kam ums Leben. Angeblich hatte meine Tochter die Pillen schon dabei, als sie tanzen ging. Sie selbst behauptet allerdings, jemand habe sie ihr in der Disco heimlich ins Getränk gemischt. Wie Sie wissen, ist das ein großer Unterschied.«
Er spekulierte wohl auf Mitgefühl für ihn und seine dumme verwöhnte Tochter. In Afrika hatte ich allerdings ganz andere Dinge gesehen. Dreijährige, die unter freiem Himmel zwischen verdreckten Abwasserkanälen umherirrten, den Bauch aufgebläht vor Hunger, Fliegen in den Augen. Für die zügellose italienische Bourgeoisie empfand ich keinen Hauch von Mitleid.
Teodori blieb also nichts übrig, als meine Anwesenheit zu dulden. Der Senator und Conte Tommaso dei Banchi di Aglieno war bereits ersucht worden, uns zu empfangen, und erwartete uns Punkt zehn in seinem privaten Domizil in der Via della Camilluccia. Ich musste Teodori versprechen, dem Mann keine indiskreten Fragen zu stellen. Als gäbe es in einem Mordfall indiskrete Fragen.
Als ich auf dem Weg nach draußen war, verabschiedete sich Vanessa mit den vielversprechenden Worten: »Falls ich doch mal etwas für Sie tun kann, Dottor Balistreri«, und reichte mir einen Zettel mit ihrer Telefonnummer.
Die privaten Arbeitsräume erstreckten sich über die erste und zweite Etage der Villa A und lagen unter dem Penthouse des Conte. Um zehn vor zehn erreichten wir mit einem Dienstwagen das Gittertor. Teodori wies den Fahrer an, draußen zu parken. Erstes Zeichen von Ehrerbietung. Signora Ginas Tochter öffnete den Fußgängereingang und sagte, der Privatsekretär des Conte erwarte uns in der ersten Etage. Ich sah zur Terrasse hoch, etwas blitzte auf. Sofort steckte ich mir eine Zigarette an und grüßte mit dem üblichen spöttischen Winken hinüber.
»Wem winken Sie denn da zu?«, fragte Teodori verschreckt.
»Manfredi, dem Sohn des Conte.«
Er fuhr zusammen. »Sie kennen ihn?«
»Wir haben uns ein paarmal gesehen, aber nur aus der Ferne.«
Teodoris unsicherer Blick verriet seine große Anspannung. Erst hatte ich ihn gezwungen, mich mitzunehmen, und jetzt kamen auch noch Dinge zum Vorschein, die er nicht verstand.
Der Privatsekretär des Conte entsprach ganz den Erwartungen. Ein älterer ergrauter Herr, tadellos gekleidet, im Knopfloch das Abzeichen des Partito monarchico. Er führte uns in einen Salon mit wenigen, aber zweifellos wertvollen Antiquitäten. An den Wänden hingen Gemälde großer Land- und Seeschlachten. Schwere Vorhänge dunkelten das Sonnenlicht ab. Mit der schrillen Prahlerei des römischen Bürgertums hatte das nichts gemein: aristokratische Opulenz, wuchtig, düster. Und irgendwie auch bedrohlich.
Wir warteten und vertrieben uns die Zeit damit, die Bilder zu betrachten. Teodori wirkte verängstigt, als kündigten die Schlachtszenen an, was ihm bevorstand. Lange mussten wir uns nicht gedulden. Pünktlichkeit war eine der vielen Manien des Conte.
Obwohl es nicht unsere erste Begegnung war, machte er diesmal noch größeren Eindruck auf mich. Seine eiskalten schwarzen Augen thronten über einer imposanten Adlernase, unter der sich die schmale Linie des Mundes abzeichnete, eingerahmt von einem Schnäuzer und einem penibel gepflegten schwarzen Spitzbart. Er war eine Handbreit größer als ich, Teodori überragte er um ein Weites. Als er ihm die Hand schüttelte, spürte ich seinen Abscheu vor der schludrigen Erscheinung des leitenden Ermittlers.
Als ich an der Reihe war, drückte er meine Hand fester als beim letzten Mal und musterte mich. »Wenn Sie weiterhin in dem Fall ermitteln möchten, sollten Sie sich anständig benehmen. Wenigstens innerhalb dieses Anwesens.«
Das kleine Scheusal mit dem Fernglas hatte ihm meine Unartigkeiten also gepetzt. Im Übrigen war das einfach seine Art, uns mitzuteilen, dass er uns jederzeit vor die Tür setzen und die Ermittlungen boykottieren konnte. Dies war aber nicht der richtige Moment, um zu protestieren.
Ein Hausdiener brachte Kaffee und Mineralwasser für den Conte,
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