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Du bist das Boese

Du bist das Boese

Titel: Du bist das Boese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Costantini
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nicht schreien konnte. Mit aufgerissenen Augen sah Samantha, wie der Bus sich entfernte und seine Rücklichter immer kleiner wurden, während unzählige Hände sie in die Hecken und das Gestrüpp der Grünflächen stießen.
    »Mama«, wimmerte sie. »Papa.«
    Ein älterer Herr, der um Mitternacht seinen Hund ausführte, fand die Leiche der jungen Frau in der Nähe einer Mülldeponie, nicht weit vom Ort des Überfalls entfernt. Wegen der unmittelbaren Nähe zum Roma-Lager Casilino 900 und anderen illegalen Lagern wurde selbstverständlich die Sondereinheit mit der Sache betraut und Balistreri umgehend über Handy informiert. Er brach die Pokerrunde mit den Freunden ab und machte sich zusammen mit Corvu auf den Weg. Als sie ankamen, war der Rechtsmediziner schon vor Ort. Man musste jedoch kein Experte sein, um zu erkennen, dass das Mädchen mehrfach vergewaltigt und erdrosselt worden war.
    Keine vierundzwanzig Stunden später waren die Presse und ein Großteil der Bevölkerung der festen Überzeugung, dass die Täter aus dem Lager in Casilino kamen. Die Mitte-Rechts-Opposition fuhr schon seit geraumer Zeit eine Null-Toleranz-Kampagne und beschuldigte die Mitte-Links-Parteien, die die Stadt seit Jahren regierten, sie »protegiere« die Zigeuner. Der Mord an der italienischen Studentin war nur der Auslöser für die Forderung, alle Roma-Lager sofort aufzulösen und ihre Bewohner per Zwangsabschiebung in ihre Heimat zurückzuführen.
    Banden junger Rechtsextremisten überfielen mit Eisenstangen und Messern eine illegale Barackenstadt. Es gab mehrere Verletzte, darunter eine Frau, die sich schützend vor ihren Mann gestellt hatte. Vor der Botschaft Rumäniens wurde die rumänische Flagge verbrannt, und überall in Rom las man an den Mauern Graffitis mit Hassparolen. Ein rumänischer Fußballspieler einer italienischen A-Liga-Mannschaft brach aus Protest gegen die Pfiffe, mit denen er aus den Reihen der eigenen Fans überhäuft wurde, das Training ab. Aus Rumänien wurde Protest von Regierung und Medien laut, und die italienische Presse war hocherfreut über die Gelegenheit, den Ton noch einmal zu verschärfen. Die Premierminister kamen in Brüssel zusammen und versprachen sich gegenseitige Zusammenarbeit bei der Isolierung der vereinzelten Kriminellen, die dem Ansehen der rumänischen Gemeinde und den mittlerweile doch ziemlich angespannten Beziehungen zwischen den beiden Staaten schadeten.
    Seit Jahren diskutierten der Bürgermeister und seine Mitte-Links-Partei das Problem, ohne eine Lösung zu finden. Von Opposition, Medien und der öffentlichen Meinung in die Enge getrieben, riefen sie nun nach dem Polizeipräsidenten Floris und nach Pasquali, um den Mordfall einer raschen Aufklärung zuzuführen.
    Vom ersten Tag an konzentrierten sich die Ermittlungen einzig und allein auf die Roma. Nur Balistreri weigerte sich, ausschließlich diese Spur zu verfolgen. Was ihn dazu bewegte, war ein streng geheimes Detail, von dem nur ein eingeweihter Kreis von Ermittlern wusste, das Presse und Öffentlichkeit jedoch absolut unbekannt war. Auf Samanthas Rücken war mit einer spitzen Klinge der Buchstabe R eingeritzt worden, fünf Zentimeter hoch und ebenso breit. Und nach Balistreris Überzeugung sprach das für einen Vorsatz, der zum dumpfen Herdentrieb einer Bande von Zigeunern absolut nicht passte, erst recht nicht, wenn Alkohol und Drogen im Spiel waren.
    Pasquali wiederum spürte instinktiv, dass sich jetzt die Gelegenheit bot, Balistreris guten Ruf zu beschädigen. Während der gemeinsamen Pressekonferenz am Vormittag gab er eine Kostprobe seines großen dialektischen Talents zum Besten. »Der Chef der Sondereinheit Ausländer ist der Ansicht, es gäbe noch andere Fährten als die zu den illegalen Einwanderern.« Angesichts der offensichtlichen Verwunderung der Journalisten reichte er das Mikrofon an ihn weiter. »Mehr kann ich dazu im Moment nicht sagen«, brummte Balistreri mit finsterer Miene, was für großen Unmut sorgte, besonders unter den Redakteuren jener Medien, die sich für die Räumung der Roma-Lager und die Vorverurteilung der Roma aussprachen. Die Schlagzeilen in den Tageszeitungen lauteten ungefähr so: »Der Leiter der Sondereinheit: Die Roma waren es nicht.«
    In der Nacht von Samstag auf Sonntag wurden alle Roma-Lager in Rom systematisch durchsucht. Bei einer Blitzaktion der Carabinieri in einer nicht genehmigten Zeltstadt nicht weit vom Casilino 900 wurde ein Armband mit den Initialen S.R. gefunden, versteckt

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