Du bist das Boese
Intelligenz und mithilfe seines Vaters, der schon jahrelang Bürgermeister von Tesano war, mühelos ausgleichen. Dem ernsten Jungen mit der Brille, der durchaus geistreich und bissig sein konnte, wurde vonseiten der Lehrer viel Rücksicht und Verständnis entgegengebracht. Bei diesem familiären Hintergrund und solch einem Charakter war allen klar, dass Antonio Pasquali eine glänzende Karriere bevorstand.
Nach dem Gymnasium ging er für einige Monate nach London, um Schauspiel zu studieren, bis sein Vater ihn auf den harten Boden der Realität zurückholte. In Italien studierte er Politikwissenschaften und bewarb sich dann erfolgreich für die Polizeilaufbahn. Nachdem er die zweijährige Ausbildung zum Kommissar durchlaufen hatte, sprach der Vater mit dem Innenminister, einem ebenfalls aus den Abruzzen stammenden Parteifreund, der sich persönlich davon überzeugen konnte, dass der junge Pasquali nicht nur fleißig war, sondern auch ausgesprochen clever und geschickt im Umgang mit Menschen.
So nahm ihn der Minister 1980 als Assistenten nach Rom mit, wo sich Pasquali das politische Netzwerk schuf, das ihn seine ganze Laufbahn hindurch stützen sollte. Seine Freunde saßen überall, bei den Neofaschisten ebenso wie bei den Linksextremen, aber er war immer darauf bedacht, sich selbst strikt in der Mitte zu halten, ein Mann für alle Jahreszeiten, stets nach allen Seiten hin offen und gesprächsbereit.
Zu Beginn der Neunzigerjahre brachte die Mailänder Staatsanwaltschaft die Mani-pulite -Prozesse ins Rollen, und mit dem Niedergang der Christdemokraten und der Sozialistischen Partei wurde auch die politische Elite Italiens enthauptet. Eines Abends im Jahr 1993 saß Pasquali mit seinem Vater und dem befreundeten Minister im Salon des Familiensitzes in Tesano vor dem brennenden Kamin. Bei einem Gläschen gutem Amaro aus der Gegend diskutierten die beiden Älteren über die unausweichliche Notwendigkeit, sich politisch neu zu positionieren. Im neuen Mehrheitswahlsystem spaltete sich die DC in einen rechten und einen linken Flügel. Der junge Antonio, der schon damals bestens in die Squadra mobile integriert war, flüsterte den zwei Pygmalions die Lösung ein. »Wenn ihr mich fragt: Ihr müsst getrennte Wege gehen, der eine links, der andere rechts.«
Die beiden blickten ihn verdutzt an, kamen aber schnell überein, dass das wohl tatsächlich das Klügste war, bis die Entwicklung klar zeigen würde, wer aus dem neuen bipolaren System siegreich hervorging. Ihnen allen war bewusst, dass die Vetternwirtschaft der Nachkriegszeit, die vierzig Jahre lang funktioniert hatte, unter den Attacken der »kommunistischen« Richter und der neuen Macht der Medien zu zerfallen drohte und man sich in beiden neuen Lagern positionieren musste.
Sie debattierten ein wenig, wer sich auf welche Seite schlagen sollte, denn der Minister und Pasqualis Vater hatten eine sehr ähnliche Biografie, persönlich wie politisch. Auch hier fand der junge Antonio die Lösung. Er wandte sich an den Minister, der das höhere Amt bekleidete und zugleich der Ältere war, nahm eine Hundertliremünze und sagte: »Exzellenz, Sie haben die Wahl. Kopf oder Zahl?«
Später fragte sein Vater: »Und was ist mit dir, Antonio? Auch Polizisten brauchen politische Referenzen.« Ausweichend erklärte er, im zukünftigen Szenario sei die direkte Parteizugehörigkeit für einen Polizisten wahrscheinlich nicht sinnvoll. Vermutlich sei es zweckmäßiger, lediglich zu sympathisieren, aber er denke darüber nach. Er verriet nicht, dass er nur auf die baldige, allenthalben kolportierte Gründung einer neuen Partei wartete, einer starken Partei, die über unbegrenztes Kapital verfügen, ansehnliche Teile der Christdemokraten und Sozialisten in sich aufnehmen und die politische Landschaft komplett umpflügen würde. Wenn es so weit war, wollte Antonio Pasquali freie Hand haben. Die neue Welt der Telekratie würde sein schauspielerisches Talent schon zu schätzen wissen.
Im Jahr 2000 wurde er von der Squadra mobile zur Antimafia-Einheit versetzt, wo unter seiner Leitung einige Mafiabosse, die schon ewig im Untergrund lebten und längst von anderen ersetzt worden waren, in spektakulären Aktionen verhaftet wurden. Dabei gab er gut acht, dass kein ehemaliger oder amtierender Politiker, egal, welcher Couleur, durch seine Ermittlungen in Mitleidenschaft gezogen wurde. Er war der aufrichtigen Überzeugung, den wahren Interessen seines Landes so am besten zu dienen.
Ende des Jahres
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