Du bist das Boese
Kaffee trinken konnten.
Sie setzte sich ins Auto und drehte die Heizung auf. Es regnete immer noch heftig. Die Straße war verstopft von Autos, die im Schritttempo durch eine tiefe Senke voller Wasser krochen. Die Schlaglöcher und die Roma-Lager beseitigen, damit setzte die Opposition den Bürgermeister unter Druck.
Schlaglöcher und Roma.
Man könnte ja die Schlaglöcher mit den Roma stopfen. Das würde bestimmt auf breite Zustimmung stoßen.
Sie rief Balistreri an und erzählte ihm in wenigen Minuten die Fakten.
»In Ordnung, Piccolo, bringen Sie Marchese mit hierher. Um Colajacono kümmere ich mich dann schon.«
Piccolo lächelte. Balistreri wollte ihr Ärger ersparen.
»Corvu, ich brauche nach dem Mittagessen einen Termin mit Linda Nardi. In neutraler Umgebung.« Was bei Balistreri so viel hieß wie geheim. Corvu war ziemlich verblüfft. Linda Nardi war Journalistin, eine Spezies, die Balistreri mied wie die Pest. Und dann schrieb sie auch noch für ein Blatt, das die Ordnungskräfte oft attackierte und das Balistreri aus seiner persönlichen Lektüreliste gestrichen hatte. Als fünf Monate zuvor der Fall Samantha Rossi öffentlich wurde, hatte Linda Nardi mit besonderem Nachdruck auf die Fehler hingewiesen, die der Sondereinheit unterlaufen waren. Der sich anschließenden Pressekampagne mit der Forderung nach Balistreris Rücktritt hatte sie sich seltsamerweise nicht angeschlossen.
Der Vicequestore aggiunto steckte sich die dritte Zigarette des Tages an. Linda Nardi. Wie alt sie wohl war? Mitte dreißig vielleicht, obwohl es Momente gab, in denen sie zehn Jahre jünger oder älter aussah. Eine schöne Frau oder ein hübsches Mädchen, je nachdem. Das Gesicht eines ernsten Kindes, der Blick mal eindringlich, mal distanziert. Eine freundliche und offene Frau, aber entschieden in ihren Ansichten, die sie ebenso entschieden vertrat. Balistreri wusste, dass sie, weil ihre Artikel bei den Lesern große Beachtung fanden, in der Redaktion als unverzichtbar galt, gleichzeitig aber auch als gefährlich, weil dieselben Artikel der Zeitung schon viel Ärger beschert hatten – mit Politikern, mit den extremen Flügeln der Kirche und mit einigen Ländern.
Wenn man den Gerüchten Glauben schenkte, hatte schon so mancher Polizist und Journalist versucht, bei ihr zu landen, allerdings ohne Erfolg. Sie war höflich und nett, aber in dieser Hinsicht lief bei ihr gar nichts, was der jeweilige Verehrer auf bisweilen demütigende Art zu spüren bekam. Colicchia, Balistreris Vorgänger bei der Mordkommission, war ein Frauenheld wie er im Buche steht, und eine schöne Frau um sich zu haben, ohne es mit ihr treiben zu können, störte sein seelisches Gleichgewicht empfindlich. Aus angeborener Überheblichkeit und weil er alle Frauen für Nutten hielt, hatte Colicchia ihr einen Strauß roter Rosen geschickt, begleitet von einer Einladung zum Abendessen in ein Restaurant ihrer Wahl. Sie hatte höflich abgelehnt, aber Colicchia hatte insistiert, unter anderem mit der indirekten Drohung, ihr andernfalls keine wichtigen Informationen mehr zukommen zu lassen. Also hatte sie schließlich nachgegeben und das Convento vorgeschlagen. Colicchia, der ein notorischer Geizkragen war, hatte fast der Schlag getroffen: In diesem Restaurant, in dem es Platz für acht Gäste gab, aß man wie ein Gott und zahlte astronomische Summen, die das Budget eines redlichen Polizisten zweifellos überstiegen. Aber ein Rückzieher kam nicht infrage. Er führte sie also aus, glänzte wie üblich mit seinem Repertoire an mehr oder weniger ausgeschmückten kriminalistischen Anekdoten, mit denen er seine Opfer sonst zu beeindrucken pflegte, und musste feststellen, dass Linda Nardi nicht nur unnahbar war, sondern auch unersättlich. Sie bestellte mehrere Gänge und die teuersten Weine, an denen sie aber lediglich nippte, und wollte immer blutigere Geschichten hören. Als sie schließlich die letzten Gäste waren, erzählte sie ihm sehr ernst von einer ihrer Reportagen über eigentümliche, in Amerika begangene Straftaten, die Frauen an Männern verübt hatten. Geschichten von schauderhaften Verstümmelungen. Am Ende rannte Colicchia, der, wie fast alle Mitglieder der Squadra mobile, an Gastritis litt und an jenem Abend den ganzen Wein, den sie bestellt, aber stets nur gekostet hatte, allein geleert hatte, aufs Klo und kotzte sich die Seele aus dem Leib. Als er zum Tisch zurückkam, war er leichenblass. Ende der Vorstellung.
Wie üblich beschloss Balistreri,
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