Du bist in meiner Hand
er, »dieser Mann wurde zu Unrecht verhaftet.«
Khan traute seinen Ohren nicht. »Der Verdächtige hat bereits gestanden, dass er in einem Bordell ein minderjähriges Mädchen gekauft und anschließend nach Frankreich gebracht hat. Er hat sowohl gegen indisches als auch gegen internationales Recht verstoßen. Wieso sollte er also zu Unrecht verhaftet worden sein?«
»Inspektor, ich erteile Ihnen hiermit den Befehl, ihn freizulassen«, sagte der stellvertretende Polizeichef.
Khan starrte seinen Boss zornfunkelnd an. Zögernd holte er den Schlüssel für Navins Handschellen heraus. Ihm blieb keine andere Wahl. Wenn er nicht gehorchte, verlor er seinen Job, und seine Familie saß auf der Straße.
Sobald Navin frei war, rappelte er sich hoch und spuckte dem Inspektor ins Gesicht.
»Muth mar, bhenchod«, stieß er leise hervor. »Ihr werdet das Mädchen nie finden.«
Khan kehrte in sein Büro zurück. »Wir haben ein Problem«, verkündete er, während er den Blick zwischen Jeff und Thomas hin und her wandern ließ. »Der stellvertretende Polizeichef hat Navin freigelassen.«
»Was soll das heißen, er hat ihn freigelassen?«, hakte Greer nach.
»Das, was ich gerade gesagt habe. Navin ist weg.«
Thomas starrte ihn fassungslos an. »Wie konnten Sie das nur zulassen?«
Khan runzelte die Stirn. »Sie verstehen das nicht. Ich hatte keine andere Wahl.«
»Diese ganze Stadt ist ein einziger Zirkus«, stellte Thomas wütend fest, ehe er sich erhob und auf die Tür zusteuerte. »Wir müssen etwas dagegen unternehmen.«
Khan versperrte ihm den Weg. »Wollen Sie ins Gefängnis?«, fragte er. »Denn der stellvertretende Polizeichef wird Sie einsperren und den Schlüssel in die Mahim Bay werfen. Sie werden den Kampf gegen die Korruption nie gewinnen. Wir können das Mädchen nur finden, wenn wir mit der französischen Polizei sprechen.«
Thomas atmete tief durch, um sich zu beruhigen. »Navin hat Sita nach Frankreich gebracht?«
»Sie arbeitet im Restaurant seines Onkels in Paris.«
Thomas schüttelte den Kopf. »Ausgerechnet in Paris.«
»Was ist daran so bemerkenswert?«, wollte Jeff wissen.
»Ich kenne Paris sehr gut. Ich habe ein Semester an der Sorbonne studiert.«
»Und?« Jeff blickte ihm fest in die Augen. »Du hast doch wohl nicht vor, ihr hinterherzureisen und auf eigene Faust nach ihr zu suchen. Die französische Polizei verfügt über viel bessere Möglichkeiten, sie aufzuspüren.«
»Natürlich«, räumte Thomas ein. Es war eine völlig verrückte Idee, aber aus irgendeinem Grund wollte sie ihm nicht mehr aus dem Kopf.
»Ich setze mich morgen mit dem CBI in Verbindung«, versprach Khan. »Sie werden uns bestimmt bei unseren Gesprächen mit den Franzosen unterstützen.«
Thomas begleitete Jeff ins feuchtwarme nächtliche Bombay hinaus. Jeff winkte ihnen ein Taxi heran und wies den Fahrer an, sie zum Hauptbahnhof von Mumbai zu bringen.
Unterwegs sagte Thomas kein Wort. Der einfachste Weg – das Ganze den Behörden zu überlassen – war auch der vernünftigste. Was ihm im Moment am wichtigsten war – Priya –, befand sich in Bombay. Womöglich würde sie ihn sogar zu einer Reise nach Paris ermutigen. Aber nicht nur ihre Meinung zählte. Obwohl sie beide hartnäckig versucht hatten, ihren Vater zu ignorieren, hatte er trotzdem noch großen Einfluss auf sie. Ohne seinen Segen würde Priya Indien nicht mehr verlassen.
Er und Greer erstanden Fahrkarten nach Bandra und gingen zum Bahnsteig hinunter. Als die Bummelbahn nach zehn Minuten endlich angezuckelt kam, stiegen sie in einen Waggon der zweiten Klasse. Thomas stellte sich neben die Tür und starrte in die Nacht hinaus. In gemächlichem Tempo machte der Zug sich auf den Weg in die Vorstädte.
Während sie einen Kilometer nach dem anderen zurücklegten, traf Thomas seine Entscheidung. Vielleicht lag es am Rhythmus der Räder, an der salzigen Luft, die über seine Haut strich, oder der fremdartigen Melodie der Worte, die all die unbekannten Menschen um ihn herum von sich gaben. Vielleicht lag es auch an seiner Euphorie darüber, dass sie Navin doch noch gefunden hatten, als kaum mehr Hoffnung bestand. Wie auch immer, sobald seine Entscheidung gefallen war, erschien sie ihm so unabänderlich, als hätte nicht er sich für diesen Weg entschieden, sondern der Weg sich für ihn.
Er würde nach Paris reisen. Das war er Ahalya schuldig.
Und sich selbst auch.
18
Wo ist die erloschene Lampe,
welche die Nacht zum Tage machte?
HAFIZ
Paris –
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