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Du bist in meiner Hand

Du bist in meiner Hand

Titel: Du bist in meiner Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corban Addison
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Ahnung«, antwortete er. »Ich fühle mich einfach wohl in deiner Gesellschaft.«
    In ihren Augen blitzte es. Ob vor Melancholie oder Zorn, konnte er nicht sagen.
    »Möchtest du, dass ich gehe?«
    Da war sie, die entscheidende Frage, auf die er keine eindeutige Antwort hatte. Ja, er wollte, dass sie ging. Nein, er wollte nicht, dass sie ging. Er wollte sein Leben zurück, aber das war unmöglich. Er wollte frei sein von den Gefühlen, die ihn in diesem Haus nicht losließen. Er wollte die Wärme von Haut auf Haut fühlen und spüren, wie sich das Einende der Liebe in Leidenschaft verwandelte. Doch das Gesicht, das er in Gedanken vor sich sah, war nicht das von Tera. Er sah Priya vor sich, wie sie früher gewesen war. Das Mädchen, das im Vorlesungssaal von Cambridge sein Herz erobert hatte, während ihr Vater, der Professor, über Quantenphysik sprach. Die Frau, mit der er ein Kind gezeugt hatte.
    Tera stellte ihr Glas auf einem Beistelltisch ab und rückte näher an ihn heran. Schließlich setzte sie sich auf seinen Schoß, sodass ihr Gesicht nur noch Zentimeter von seinem entfernt war.
    »Ich möchte nicht gehen«, flüsterte sie.
    Dann küsste sie ihn, und er widersetzte sich nicht. Schlagartig vergaß er Jungers Ultimatum. Er vergaß auch die Geister seiner Frau und seines Kindes. Sein Kopf war auf einmal ganz leer, und sein Herz vor Verlangen und Verzweiflung wie betäubt. Nur sein Körper funktionierte noch.
    Für diesen Moment aber war sein Körper genug.
    Er lag wach in der Dunkelheit, während Tera neben ihm schlief. Über ihnen drehte der Deckenventilator seine trägen Runden, ohne dabei wirklich die Luft zu bewegen. Thomas konnte sich dunkel daran erinnern, dass er versehentlich gegen den Schalter gestoßen war, als Tera ihn ins Schlafzimmer geschoben hatte. An alles andere erinnerte er sich noch ausgesprochen lebhaft, wollte aber nicht darüber nachdenken. Schlagartig war sein schlechtes Gewissen zurück.
    Leise schlüpfte er aus dem Bett, zog sich ein Sweatshirt und Shorts an und ging nach unten. In der Küche und im Wohnzimmer brannten immer noch die Lampen. Er schaltete eine nach der anderen aus, bis nur noch eine Straßenlaterne ihr fahles Licht auf das glänzende Parkett warf. Es hatte zu schneien aufgehört, aber der Boden war weiß. Thomas schätzte, dass mehr als fünf Zentimeter gefallen waren. Er warf einen Blick auf die Uhr. Es war bereits nach Mitternacht.
    Er blieb noch einen Moment reglos stehen und lauschte den Geräuschen der Straße. Dann ging er zu der Tür, die in den Keller führte, und stieg die Stufen hinunter. Wo die Schachtel war, wusste er genau, denn er hatte sie selbst dort versteckt, nachdem seine Frau gegangen war. Er kehrte damit ins Wohnzimmer zurück und ließ sich in dem Sessel neben dem Fenster nieder. Er stellte sich die Schachtel auf die Knie und nahm den Deckel ab. Die Fotos waren völlig durcheinander. Seine Absicht war gewesen, die Erinnerungen auszulöschen, nicht, sie zu ordnen und zu hüten.
    Das erste Bild zeigte Priya in ihrem Hochzeitskleid. Sie stand in einem Garten neben einer Bank, umgeben von Blumen. An ihrer entspannten Haltung konnte man sehen, dass sie sich wohlfühlte. Das hatte er an ihr immer sehr anziehend gefunden. Ihre Augen waren braun, und der Olivton ihrer Haut bildete einen schönen Kontrast zum Weiß ihres Kleides. Ihr lächelnder Blick war auf etwas gerichtet, das sich ein Stück von ihr entfernt befand. Er erinnerte sich daran, dass in der Nähe Kinder auf dem Rasen gespielt hatten. Schon damals war sie ganz vernarrt in Kinder gewesen.
    Sie hatten auf der River Farm geheiratet, einem weitläufigen Anwesen am Potomac, südlich von Alexandria gelegen. Die Zeremonie war die Art interkulturelles Spektakel gewesen, das niemanden außer Braut und Bräutigam so richtig befriedigte. Nach den traditionellen christlichen Riten hatten sie ihr Ehegelübde mit den Saptapadi – den Sieben Schritten – um eine zeremonielle Flamme herum vollendet. Priya hatte auf Hindi den Segen gesprochen und sich damit ihrem neuen Leben überantwortet. Sie hatte Thomas geheiratet, obwohl ihr Vater große Bedenken hegte. Inzwischen fragte sich Thomas, ob ihre Entscheidung sie beide irgendwie mit einem Fluch belegt hatte.
    Er legte das Foto beiseite und nahm das nächste aus der Schachtel. Plötzlich kehrte die Trauer mit voller Wucht zurück. Die Aufnahme zeigte Priya im Rock Creek Park, mit einer drei Monate alten Mohini auf dem Arm. Das kleine Mädchen und seine

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