Du bist in meiner Hand
deutlicher formulieren. Mumbai ist nicht Washington. Das hiesige Gerichtssystem ist rückständig bis zum Gehtnichtmehr und steckt voller Eigenarten, die Sie selbst dann noch in den Wahnsinn treiben werden, wenn Sie sich damit vertraut gemacht haben. Als Ausgleich bieten wir Ihnen zwei Highlights an: die Chance, das Leben von ein paar Mädchen zum Positiven zu verändern, und Sarahs selbst gemachten Chai.« Samantha hielt inne und blickte zur Tür. »Was für ein Timing!«
Eine junge Inderin betrat den Raum mit einem Tablett voller dampfender Tassen. Lächelnd verteilte sie den Chai.
Thomas wandte sich wieder Samantha zu. »Ich trinke sehr gern Chai, und mit dem Rest komme ich auch klar.«
Samantha bedachte ihn mit einem süffisanten Grinsen. »Wenn Sie das in zwei Monaten auch noch sagen können, dann weiß ich, dass Sie es ernst meinen.«
Der Nächste, den Jeff Thomas vorstellte, war Nigel McPhee, der Leiter der Außeneinsätze und ein redseliger Bär von einem Mann. Er stammte aus dem schottischen Lockerbie und war zunächst bei einem britischen Sondereinsatzkommando und dann beim MI-5 gewesen, bis er schließlich »erleuchtet wurde«, wie er es ausdrückte, und zu CASE ging.
»Mumbai ist weit weg von Lockerbie«, bemerkte Thomas.
»Es könnte genauso gut auf dem Mond liegen«, erwiderte McPhee. »Hier ist es die meiste Zeit des Jahres so angenehm wie in einem Sumpf voller Malaria-Mücken, aber ich bin schließlich nicht hergekommen, um Urlaub zu machen. Mumbai steckt voller böser Jungs – Schläger, Menschenhändler, Zuhälter, Gangster aller Art, Drogendealer. Ich mag die bösen Jungs. Bei denen weiß man wenigstens, woran man ist. Was man von der hiesigen Polizei nicht behaupten kann. Das ist so ziemlich die korrupteste und inkompetenteste Bande, die mir je untergekommen ist. Abgesehen von wenigen Ausnahmen. Für diese wenigen Jungs lege ich meine Hand ins Feuer.«
»Wäre es nicht besser, wenn dieses Büro irgendwo im Süden von Bombay läge?«, fragte Thomas. »Hier scheint es mir weit ab vom Schuss zu sein.«
»Ich war mit ihm in der M. R. Road«, erklärte Greer an McPhee gewandt.
McPhee lachte. »Mein lieber Junge, Kamathipura ist nur der Anfang. Es gibt Dichter, die diese ganze Stadt Golpitha nennen – das Bordellviertel.«
Thomas runzelte die Stirn. »Meine Frau stammt aus Malabar Hill. Sie hat mir die Situation nie als so schlimm geschildert.«
»Die Betuchten verschließen davor gern die Augen.« McPhee warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Tut mir leid, wenn ich Sie abwürge, aber ich muss noch einen Bericht fertigschreiben. Wenn Sie etwas brauchen, das Sie nachts wachhält, dürfen Sie jederzeit bei mir vorbeischauen. Meine Geschichten sind besser als Kaffee.«
Die letzte Person auf Greers Liste war Rachel Pandolkar, eine zierliche, etwa fünfunddreißigjährige Inderin mit zarten Gesichtszügen und großen Augen. Ihre Aufgabe war es, die Wiedereingliederung der Opfer ins normale Leben zu organisieren. Da sie gerade telefonierte, als Greer bei ihr klopfte, warteten sie vor ihrer Bürotür, bis sie fertig war.
»Schön, dich zu sehen, Jeff«, sagte sie, nachdem sie ihr Gespräch beendet hatte.
»Gleichfalls, Rachel. Das hier ist Thomas Clarke, unser neuer juristischer Praktikant.«
»Herzlich willkommen«, begrüßte sie ihn. »Was soll ich euch erzählen?«
»Gib ihm einen Überblick über die schwebenden Verfahren«, schlug Jeff vor.
Rachel faltete die Hände. »Wir betreuen im Moment fünfundzwanzig Mädchen. Zehn von ihnen sind in staatlichen Heimen untergebracht, für fünfzehn haben wir private Plätze gefunden. Bei allen Betroffenen handelt es sich um Minderjährige. Unsere Leute besuchen die Mädchen einmal pro Woche. Wir arbeiten eng mit dem Jugendamt zusammen, um sicherzustellen, dass sie eine anständige Ausbildung und eine gute medizinische und psychologische Betreuung bekommen. Und genug Aufmerksamkeit.«
»Ich möchte nicht zynisch klingen«, bemerkte Thomas, »aber es gibt in dieser Stadt Tausende von minderjährigen Prostituierten. Zwei Dutzend scheinen mir da nur ein Tropfen auf den heißen Stein zu sein.«
Rachels Augen blitzten. »Das ist richtig. Haben Sie eine bessere Idee?«
»So habe ich es nicht gemeint«, entgegnete Thomas. »Ich habe nur das Gefühl, das Problem ist gar nicht zu bewältigen.«
Rachel nickte. »Mutter Teresa ist mal gefragt worden, wie sie denn damit klarkomme, dass es auf der ganzen Welt so viel Armut gebe. Wissen Sie, was sie
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