Du bist in meiner Hand
sie es noch zurückhalten konnte.
Durch die Tür gelangten sie auf einen Gang mit mehreren Überwachungskameras. Der Zollbeamte führte sie das kurze Stück bis zur nächsten Tür und forderte Sita mit einer Handbewegung auf hineinzugehen. Als sie Navin daraufhin einen fragenden Blick zuwarf, bekam sie es erst recht mit der Angst zu tun. Statt Nervosität sah sie in seinen Augen nur eine finstere Drohung.
Gefolgt von einem der Sicherheitsbeamten betrat sie den kahlen Raum, dessen Einrichtung sich auf einen Tisch und zwei Stühle beschränkte. Der Beamte zog einen davon für sie heraus. Am liebsten hätte sie den Mann gefragt, was denn überhaupt los sei, doch sie wusste, dass ihre Stimme sie verraten würde. Er bezog neben der Tür Stellung und sah ins Leere. Es war offensichtlich, dass er auf jemanden wartete.
Die folgenden Minuten erschienen Sita wie eine Ewigkeit. Ihre Gedanken purzelten wild durcheinander. Für einen Moment fragte sie sich, wie es in einem französischen Gefängnis wohl zuging, und sah sich hinter Eisenstäben sitzen, umgeben von Schwerverbrecherinnen. Dann verschränkte sie die Hände, richtete den Blick auf die Tischplatte und versuchte, möglichst ruhig und gleichmäßig zu atmen.
Endlich ging die Tür auf, und eine Frau erschien. Ihrer Uniform nach zu urteilen handelte es sich um eine Zollbeamtin. Sie war sehr dünn und trug ihr blondes Haar kurz geschnitten. Nachdem sie dem Sicherheitsbeamten einen raschen Blick zugeworfen hatte, verschwand dieser ohne ein Wort. Die Frau nahm Platz und legte Sitas Pass und einen Notizblock vor sich auf den Tisch. Sie musterte Sita kühl und drehte dabei ihren Stift zwischen den Fingern.
»Sie heißen Sundari Rai?« Aus ihrem klaren Englisch war nur ein ganz leichter französischer Akzent herauszuhören.
Sita nickte schüchtern, während sie gleichzeitig versuchte, sich gegen ihren eigenen rasenden Herzschlag zu stählen.
»Sie sehen nicht aus wie achtzehn.«
Für den Bruchteil einer Sekunde war Sita versucht, ihr einfach die Wahrheit zu sagen und dem Karma seinen Lauf zu lassen. Vielleicht würde sie mit einer milderen Strafe davonkommen, wenn sie ein Geständnis ablegte. Vielleicht glaubte ihr der Richter ja, dass sie das alles nur getan hatte, weil Navin sie dazu gezwungen hatte. Dann aber war der Moment vorüber, und die Angst kehrte zurück. Im Falle einer Abschiebung würde man sie in die Hände der Polizei von Bombay übergeben. Aller Wahrscheinlichkeit nach würde sie nach indischem Recht wegen Drogenschmuggels verurteilt werden. Sie musste an Navins Worte denken. Eines kannst du mir glauben: Die Gefängnisse von Bombay willst du ganz bestimmt nicht von innen sehen.
»Ich bin aber achtzehn«, erklärte sie und bemühte sich dabei, mit dem Selbstbewusstsein eines älteren Mädchens zu sprechen. »Ich war schon immer klein für mein Alter.«
Die Frau klopfte mit dem Stift auf ihrem Notizblock herum. »Ihre Familie, wo kommt die her?«
»Aus Chennai«, antwortete Sita.
»Wo genau liegt das?«
»Am Golf von Bengalen, im Südosten Indiens. Früher hieß es Madras.«
Die Frau notierte sich etwas. »Der Mann, mit dem Sie reisen, wer ist das?«
»Mein Ehemann.« Sita verschränkte die Hände im Schoß, damit sie nicht so zitterten.
Die Beamtin wirkte perplex. »Für eine verheiratete Frau sind Sie aber noch sehr jung.«
Sita überlegte krampfhaft, wie Navin wohl reagieren würde, wenn man ihn auf diese Tatsache ansprach. »Die Ehe wurde von unseren Eltern arrangiert«, erklärte sie schließlich.
Die Frau überlegte einen Moment und wechselte dann das Thema. »Waren Sie schon mal in Pakistan?«
Die Frage überraschte Sita. »Nein.«
Die Beamtin musterte sie plötzlich sehr eindringlich. »Hat Ihnen Ihr Mann je von seinen häufigen Reisen nach Lahore erzählt?«
Sita kniff die Augen zusammen und schüttelte langsam den Kopf. Sie hatte keine Ahnung, worauf die Frau hinauswollte.
»Hat er Ihnen gegenüber jemals seine Verbindungen zu Lashkar-e-Taiba erwähnt?«
Wieder schüttelte Sita den Kopf. Ihr Vater hatte mit ihnen über Lashkar-e-Taiba gesprochen. Es handelte sich dabei um eine radikal-islamistische Organisation, die für zahlreiche Terroranschläge in Indien verantwortlich war. Falls die Frau recht hatte, war Navin viel gefährlicher, als er nach außen hin wirkte.
»Nein«, entgegnete Sita. »Ich weiß nur, dass mein Mann in der Versicherungsbranche tätig ist.«
Die Beamtin blickte auf ihren Notizblock hinunter. »Sie wollen in
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