Du bist nie allein
1994, als er Jessica geheiratet hat.«
»Was ist denn aus ihr geworden?«, fragte Mike leise, unschlüssig, ob er die Antwort wirklich wissen wollte.
»Jessica wird seit 1998 vermisst«, sagte Jennifer. »Sie wohnte wieder bei ihren Eltern, und zum letzten Mal wurde sie beim Einkaufen gesehen. Ein Zeuge erinnerte sich, Robert Bonhams Auto an jenem Abend auf dem Parkplatz des Supermarktes gesehen zu haben, aber was mit ihr geschah, hat niemand beobachtet. Bonham ist in derselben Nacht verschwunden wie sie.«
»Sie meinen, er hat auch sie umgebracht?«, fragte Mike.
»Ihre Familie und die Polizei in Boston nehmen es zumindest an«, sagte Jennifer.
Mike und Julie saßen verkrampft und schreckensbleich auf ihren Stühlen. Die Luft ringsum schien dumpf und drückend zu sein.
»Ich habe mit Jessicas Schwester gesprochen«, fuhr Jennifer langsam fort, »und das ist mit der Grund, warum wir hier sind. Sie erzählte mir, Jennifer habe einmal versucht, Bonham zu entkommen. Sie fuhr quer durchs halbe Land, aber irgendwie hat er sie ausfindig gemacht, oder vielmehr
aufgespürt,
wie sie es nannte.«
»Was soll das heißen?«, fragte Julie mühsam.
»In der Woche, in der er angeblich zu seiner sterbenden Mutter gereist ist, ist er in Daytona gewesen. Um dort mehr über Sie in Erfahrung zu bringen. Ein Privatdetektiv hat für Bonham Ihr Vorleben recherchiert – das wissen wir von Ihrer Mutter. Es scheint ziemlich klar zu sein, dass er Ihnen von Anfang an krankhaft nachgestellt hat.«
Wie ein Jäger, dachte Julie, und ihr Hals schnürte sich dabei zu.
»Warum ich?«, fragte sie endlich. »Warum hat er gerade mich ausgewählt?«
Ihre Stimme klang kläglich wie die eines Kindes.
»Ich weiß es nicht mit Bestimmtheit«, sagte Jennifer. »Doch sehen Sie, was wir noch gefunden haben.«
Noch mehr? Was denn noch?
Jennifer zog ein Foto aus der Akte und schob es über den Tisch. Es war das Bild von dem Nachtschränkchen. Mike und Julie betrachteten es und hoben dann langsam den Blick.
»Unheimlich, oder? Das ist Jessica. Hier – darauf wollte ich Sie auch aufmerksam machen.«
Obschon Julie das Gefühl hatte, Insekten krabbelten ihr über die Haut, schaute sie noch einmal auf das Foto. Sah, worauf Jennifer mit dem Finger deutete.
Um den Hals trug die junge Frau das Medaillon, das Richard… Robert… Julie geschenkt hatte. Sie flüsterte unwillkürlich den Namen der jungen Frau.
»Jennifer Bonham. J. B.«
Julie hörte, wie Mike hinter ihr scharf Luft holte. »Ich weiß, das alles ist schwer zu ertragen«, sagte Jennifer. »Und deswegen können Sie sicher verstehen, dass es uns lieber wäre, wenn Officer Gandy die nächsten paar Tage bei Ihnen bleibt.«
»Hier im Haus?«, fragte Mike.
»Falls das geht.«
Mike schaute mit glasigen Augen zu Pete. »Ja«, sagte er, »das ist eine gute Idee.«
Pete holte seinen Koffer aus dem Wagen. Jennifer stand neben ihm und musterte die Häuser längs der Strandfront. »Ist es hier draußen immer so ruhig?«
»Glaub schon«, antwortete Pete.
Nur vor wenigen Häusern standen Autos – die üblichen Geländewagen und Camrys und auch ein Pontiac Trans Am, der bestimmt einem Teenager gehörte. Das war ein Auto, das sich Jennifer auch gewünscht hatte, als sie noch zur Highschool ging.
Sechs Autos sah sie insgesamt, was bedeutete, dass momentan nicht einmal ein Viertel der Häuser bewohnt war.
»Hoffentlich schaffen Sie es, die ganze Nacht über wach zu bleiben«, sagte sie zu Pete.
»Bestimmt«, erwiderte er und schlug den Kofferraumdeckel zu. »Ich werde morgen früh ein paar Stündchen schlafen. Sie halten mich weiter über alles auf dem Laufenden, in Ordnung?«
»Sobald ich irgendetwas Neues erfahre, rufe ich Sie an.«
Er nickte. Nach kurzem Zögern sagte er: »Glauben Sie wirklich, dass er sich noch hier in der Gegend aufhält?«
»Ich bin davon überzeugt.«
Pete spähte unwillkürlich die Straße hinauf und hinab. »Ich auch.«
In der Nacht fand Julie keinen Schlaf.
Sie hörte das stetige Rauschen der Wellen, die an den Strand schwappten. Mike lag neben ihr im Bett, er hatte das Fenster schräg gestellt, doch sobald er schlief, war Julie aufgestanden und hatte es geschlossen.
Durch den Schlitz unter der Tür zur Küche fiel Licht. Pete hielt dort Wache, und Julie war froh darüber.
Von der Düne aus blickte Richard zu dem gelben Lichtschein, der durch das Fenster des Strandhauses fiel.
Dass Officer Gandy offenbar beschlossen hatte, bei Julie zu bleiben, war zwar
Weitere Kostenlose Bücher