Du bist nie allein
Kette«, sagte er. »Dann hast du zwei und kannst das Medaillon zu jeder Gelegenheit tragen.«
»Das brauchst du nicht.«
»Ich weiß«, sagte er, senkte kurz den Blick und sah Julie dann wieder in die Augen. »Aber ich möchte es gern.« Sie starrte ihn an – mit einem jähen Gefühl von… ja, von was?
Sobald sie hinausgegangen waren, legte Andrea angewidert den
Enquirer
aus der Hand. Julie war wirklich die größte Idiotin auf dem Planeten.
Was dachte sie sich eigentlich?
Sie hätte doch nach einem solchen Wochenende wissen müssen, dass Richard vorbeikommen würde! Jeden Tag war er bisher gekommen, und Andrea konnte gut verstehen, dass Richard durch Julies Gedankenlosigkeit verletzt war. Aber wusste Julie seine Großzügigkeit überhaupt zu schätzen? Dachte sie je darüber nach, was
Richard
glücklich machen könnte, nicht nur sie selbst? Dachte sie je darüber nach, dass Richard ihr das Medaillon vermutlich in dem Wunsch geschenkt hatte, dass sie das blöde Ding trug?
Das Problem war, dass Julie gar nicht wusste, wie gut sie es hatte. Bestimmt dachte sie, alle Männer seien wie Richard. Dass alle Männer Unsummen für Geschenke und Verabredungen ausgaben und Frauen in Limousinen herumkutschierten. Aber so war es nicht. Jedenfalls nicht in diesem Kaff. Soweit Andrea das beurteilen konnte, gab es nicht
einen
Kerl von Richards Format in der ganzen Stadt.
Sie schüttelte den Kopf. Julie hatte solch einen Mann nicht verdient.
Manipuliert. So fühlte sich Julie nun, nachdem Richard wieder zur Arbeit zurückgefahren war.
Als hätte er ihr das Versprechen abtrotzen wollen, das Medaillon auch bei der Arbeit zu tragen. Als müsse sie sich schuldig fühlen, weil sie es nicht trug.
Als sollte sie es
ständig
tragen.
Dieses Gefühl behagte ihr nicht. Warum regte er sich so auf über etwas derart… Unwichtiges? Bedeutete es ihm wirklich so viel?
Sie hatte das Medaillon getragen, seit er es ihr geschenkt hatte, auch am Wochenende. Aber an diesem Morgen hatte sie entschieden, es zu Hause zu lassen, vielleicht weil…
Nein, dachte Julie kopfschüttelnd, das war es nicht. Sie hatte genau gewusst, was sie tat. Das Medaillon war ihr bei der Arbeit lästig. Letzte Woche hätte sie zweimal fast in die Kette geschnitten, und mehrmals hatte es sich im Haar von Kundinnen verfangen. Sie hatte es nicht wieder angelegt, weil sie nicht wollte, dass es ruiniert wurde.
Außerdem war das nicht der Punkt. Es ging gar nicht um sie und darum, weshalb sie es trug oder nicht, sondern um Richard und seine Reaktion. Darum, was er gesagt hatte, und wie er es gesagt hatte, sein Gesichtsausdruck, welches Gefühl ihr seine Worte vermittelten… All das machte sie unruhig.
Jim war nie so gewesen. Jim hatte nie versucht, sie zu manipulieren. Auch hatte er nie versucht, seinen Zorn mit einem Lächeln zu kaschieren.
Solange alles nach meinen Wünschen läuft, ist es prima
, schien Richard anzudeuten.
Dann haben wir kein Problem. Andernfalls jedoch…
Was hatte das alles zu bedeuten?, grübelte Julie.
Kapitel 10
M ike stand in der Werkstatt und musste an sich halten, seinem Kunden nicht an die Gurgel zu gehen. Stattdessen nickte er bedächtig.
Wie gemein von Henry, dass er ihm diesen Kunden aufgehalst hatte! Kaum war Benny Dickens aufgetaucht, musste Henry urplötzlich dringend telefonieren und verdrückte sich.
»Macht dir doch nichts aus, dich um Benny zu kümmern, oder, Mike?«
Benny war einundzwanzig, und seiner Familie gehörte die Phosphormine vor den Toren der Stadt. Das Unternehmen beschäftigte mehr als dreihundert Mitarbeiter und war somit der größte Arbeitgeber in Swansboro. Benny hatte in der zehnten Klasse die Schule abgebrochen, nannte aber ein protziges Haus am Fluss sein Eigen, finanziert mit Daddys Geld. Benny arbeitete nicht, Benny war nie auch nur der Gedanke gekommen, arbeiten zu gehen, und in der Stadt gab es mindestens zwei kleine Bennys von zwei verschiedenen Müttern. Aber die Familie Dickens war mit Abstand der beste Kunde der Werkstatt, und Henry und Mike konnten es sich nicht leisten, sie zu verlieren. Und Daddy liebte seinen Sohn. Daddy glaubte, sein Sohn wandele auf dem Wasser. Daddy war ein Schwachkopf, diese Ansicht vertrat Mike schon lange.
»Lauter«, sagte Benny greinend und langsam rot anlaufend. »Ich hab doch gesagt, ich will ihn
laut
haben!«
Es ging um den Motor seiner jüngsten Neuerwerbung, einer Callaway Corvette. Er hatte ihn in die Werkstatt gebracht, damit Mike »den Motor laut
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