Du bist ok, so wie du bist: Das Ende der Erziehung (German Edition)
der Regel sind Eltern darüber nicht glücklich, und es tut ihnen leid. Manchmal drückt sich ihr schlechtes Gewissen dadurch aus, dass sie ihr Handeln zu rechtfertigen suchen (»Du hast es aber auch übertrieben!«).
Manche Eltern wollen jedoch ganz bewusst aus diesem Muster »aussteigen«. Dies kann nur durch einen inneren Prozess gelingen. Wenn Eltern es schaffen, Verantwortung für ihr Handeln zu übernehmen und nicht dem Kind die Schuld geben (»Du hast dich nicht gut verhalten, ich konnte deshalb nicht anders«), kann ein solcher Prozess in Gang kommen, und über Selbstreflexion können neue Handlungsmuster und Haltungen entstehen, die an ein anderes Gefühl gekoppelt werden.
Gerade weil die Unsicherheit darüber groß ist, wie wir »richtig« reagieren, machen wir reflexartig einen Schritt zurück auf emotional (vermeintlich) sicheres, weil vertrautes Terrain, nämlich in das autoritär geprägte Erziehungsmuster. Für Kinder hat das unmittelbare Auswirkungen auf der Beziehungsebene: Sie erleben, wie ihre Eltern ständig ihre Stimmungen und Haltungen wechseln. Von freundlich und scheinbar gut gelaunt kippt die Situation für Kinder nicht nachvollziehbar ins Gegenteil, in autoritäre, strenge Reaktionen. Die Kinder sind verwirrt. Sie erhalten keine klare, authentische Antwort auf der Beziehungsebene und erleben permanent unklare und unsichere Erwachsene, die anscheinend selbst nicht wissen, was sie wollen. Und so bleibt den Kindern nur das Entwickeln ihrer eigenen Strategie, mit der Unklarheit ihres erwachsenen Gegenübers umzugehen.
Gewalt in Familien:
Ein Klaps hat noch keinem geschadet?
Gewalt ist Gewalt. Und so möchte ich an dieser Stelle auf alle ihre Formen schauen, auch auf extreme, über die wir alle erschrocken sind. Ich möchte ein Bewusstsein dafür schaffen, dass Kinder auch heute noch in ihren Familien körperlicher Gewalt ausgesetzt sind. Auch wenn es hinter geschlossenen Türen geschieht, passiert es doch inmitten unserer Gesellschaft, oft auch vor unseren Augen – wir müssen nur hinsehen. Die Fakten und Zahlen sprechen für sich.
Fortschritte bei der Bekämpfung von Gewalt an Kindern sind kaum zu erkennen. Die Auswertung der Kriminalstatistik für das Jahr 2010 durch die Deutsche Kinderhilfe ergab, dass 183 Kinder unter vierzehn Jahren in ihren Familien einem Mord oder Totschlag zum Opfer fielen. 2009 waren es 152 Todesfälle nach häuslicher Gewalt. Ein erschreckender Anstieg um 20 Prozent! Die Rede ist hier nicht von Kindern, die Fremden zum Opfer gefallen sind, die Rede ist ausdrücklich von häuslicher Gewalt, von Gewalt in den Familien.
Die Deutsche Kinderhilfe fordert angesichts dieser Zahlen strukturelle Reformen des Kinder- und Jugendschutzes in Deutschland. Im Schnitt kommen nach Angaben des Vorsitzenden der Deutschen Kinderhilfe, Georg Ehrmann, »nach wie vor mehr als drei Kinder pro Woche zu Tode«.
Nicht jedes Kind, das Gewalt erfährt, wird sichtbar verletzt oder kommt gleich ums Leben. Das ist jedoch kein Grund, andere Formen der Gewalt zu verharmlosen. Nicht nur Kinder aus sogenannten bildungsfernen Schichten sind gefährdet. Auslöser für Gewalt gegen Kinder sind Stress und Überforderung, und so existiert Gewalt in allen Formen als ein gesamtgesellschaftliches Phänomen. Eine im Jahr 2012 vom Forsa-Institut im Auftrag der Zeitschrift Eltern erstellte Studie offenbart dramatische Zahlen. 40 Prozent der Eltern gaben an, ihre Kinder zu verprügeln (»Hintern versohlen«), weitere 10 Prozent schlagen ihre Kinder auch ins Gesicht (»Ohrfeige«). Fast die Hälfte aller Eltern greift also bei Strafen zu körperlicher Gewalt.
Zu berücksichtigen ist bei diesen Angaben im Übrigen, dass Gewalt ein schambesetztes Tabuthema ist. So wurden bei der Datenerhebung nur Eltern berücksichtigt, die auch bereit waren, über ihr Gewaltverhalten Auskunft zu erteilen. Es ist deshalb von einer hohen Dunkelziffer auszugehen.
Alarmierend ist vor allem, dass sich die Zahlen im Vergleich zu einer ähnlichen Studie von vor fünf Jahren nicht verändert haben. Dies erschreckt mich in verschiedener Hinsicht. Mein Eindruck ist, dass wir offenbar zwar wissen, dass es »nicht gut« ist, Kinder zu schlagen, dass aber grundsätzlich in den Köpfen der Menschen faktisch der Wandel hin zu einer gewaltfreien Erziehung augenscheinlich noch nicht vollzogen wurde. Besonders erschütternd ist es aus meiner Sicht, dass wir uns offensichtlich eingestehen müssen, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der
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