Du bist ok, so wie du bist: Das Ende der Erziehung (German Edition)
Milchpackungen gedruckt. Zudem fand jeder Haushalt in seinem Briefkasten eine Broschüre mit dem Titel »Wie erziehe ich mein Kind ohne körperliche Züchtigung?«. Diese Broschüre, in der praktische Fragen der Erziehung und des Alltags diskutiert und Tipps gegeben wurden, wurde zu einer Art Leitfaden einer neuen, »positiven« Elternschaft. Zudem wurde eine Meldepflicht eingeführt: Wer bemerkt, dass Eltern ihr Kind schlagen oder in anderer Weise züchtigen, muss dies anzeigen. Gewalt gegen Kinder, so war die eindeutige Botschaft, die heute für jeden Schweden eine Selbstverständlichkeit ist, ist keine Privatsache.
Was dieser Haltungswandel bewirkt – und wie sich die Schweden darin von anderen Nationen unterscheiden –, zeigt ein Fall, der im Jahr 2011 durch die Presse ging. Ein italienischer Lokalpolitiker hatte seinen zwölfjährigen Sohn im Urlaub in Stockholm bei einem Streit über die Wahl eines Restaurants geohrfeigt – in Italien ein durchaus alltägliches Erziehungsmittel. Der Vater wurde festgenommen und verbrachte drei Tage in Haft.
Zurück nach Deutschland: Die Deutsche Kinderhilfe setzt sich seit Jahren für Kinderrechte ein und fordert einen Nationalen Aktionsplan Kinderschutz, der auf Kampagnen und eine gezielte Beratung und Unterstützung der Eltern setzt. Sie plädiert für einen gesamtgesellschaftlichen Mentalitätswandel und mahnt, bei Gewalt müsse der Null-Toleranz-Grundsatz gelten. Was kann diesen Mentalitätswandel herbeiführen? Ohne bürgerschaftliches Engagement und eine Kultur des Hinsehens wird dies nicht gelingen. Dazu bedarf es aber auch des politischen Willens.
»Gäbe es vergleichbare verheerende Zahlen über rassistische, homophobe oder antifeministische Gesinnungen in der Gesellschaft, würde es zu Recht einen Aufschrei aller Interessengruppen, Gewerkschaften, Parteien, Verbände bis zu den Kirchen geben. Die tägliche Gewalt gegen Kinder in Deutschland sollte Gleiches hervorrufen«, so Georg Ehrmann, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Kinderhilfe.
Keine Frage: Spätestens seit den siebziger Jahren hat sich in Deutschland einiges geändert in der Art und Weise, wie wir Kinder in unserer Gesellschaft wahrnehmen und mit ihnen umgehen. Wenn wir jedoch die Augen vor den Folgen von Gewalt an Kindern verschließen, haben wir nicht wirklich etwas erreicht.
2005 – fünf Jahre nach der Novellierung des §1631 Abs. 2 BGB – sorgte ein Berliner Generalstaatsanwalt für Aufruhr, als er öffentlich bekannte: »Einen Klaps lasse ich mir nicht verbieten.« Mit diesem Statement wurde eine neue Diskussion über den Sinn und Unsinn von körperlicher Gewalt, Ohrfeigen und Klapsen angestoßen.
Jeder Klaps schadet! Die Haltung, dass die Erwachsenen ihre Macht über Kinder gewaltvoll ausüben dürfen, zeugt von einer geradezu archaischen, tief verwurzelten, oft selbst erfahrenen und nicht verarbeiteten Verletzung. Gewalt ist Gewalt. Genauso wenig, wie Frauen »ein bisschen schwanger sein« können, gibt es »ein bisschen Gewalt«.
Auf der Straße
Eine Mutter ist an einem sonnigen Frühlingstag mit ihrer einjährigen Tochter auf dem Weg zum Spielplatz. Das Mädchen sitzt im Kinderwagen und schaut interessiert in die Welt. Die Mütze rutscht ihr über die Augen, und sie zieht die störende Kopfbedeckung vom Kopf. Die Mutter wird nicht müde, ihm aus Sorge die Mütze immer wieder schützend über die Ohren zu ziehen. So entwickelt sich ein Hin und Her, und die Unzufriedenheit von Mutter und Kind steigert sich sekündlich. »Wenn du jetzt nicht aufhörst, dann muss ich dir wehtun! Wer nicht hören will, muss fühlen«, sagt die Mutter schließlich, nimmt die Hand des kleinen Mädchens, schlägt einmal fest zu und setzt ihm dann mit Nachdruck die Mütze wieder auf den Kopf.
In der Küche
Freunde haben zum gemeinsamen Essen eingeladen. So sitzt ein junges Elternpaar mit seinem anderthalbjährigen Sohn am Tisch des befreundeten Pärchens. Der volle Teller steht vor dem Jungen, und er greift zu. Der Vater steht daraufhin auf, nimmt den Jungen vom Stuhl und stellt ihn vor sich hin. Mit der flachen Hand schlägt er ihm dann an den Kopf, nimmt ihn grob am Arm und setzt ihn unsanft wieder auf den Stuhl. Die Freunde der Eltern sind schockiert und fragen verwundert nach, woraufhin der Vater mit Überzeugung in der Stimme begründet: »Wir beginnen immer gemeinsam mit dem Essen. Das weiß er ganz genau. Er muss lernen, dass er nicht alles mit uns machen kann und uns respektvoll begegnen soll.« Die
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