Du bist ok, so wie du bist: Das Ende der Erziehung (German Edition)
nötige Selbstsicherheit zu vermitteln. Wenn das Selbstwertgefühl stark beeinträchtigt ist, haben sich die Erfahrungen mit der Umwelt als physiologische Antwort im Gehirn bereits seelisch tief verankert. Häufig werden Kinder dann zu »Lerninvaliden« – sie trauen sich nichts mehr zu und sind auf allen Ebenen für das Lernen blockiert. Um in diesem Sinne wieder »heil« und »lerngesund« zu werden, um Interesse und Neugier zu entwickeln und die innere Triebfeder zu aktivieren, braucht es einen Lehrer, der Zeit in die Beziehungsarbeit mit seinem Schüler investieren kann.
Warum Kinder zum Lernen eine gute Beziehung zum Lehrer brauchen – oder: gemeinsam statt gegeneinander
Wenn ich mit Lehrern arbeite, wird immer wieder deutlich, wie schwierig die Situationen oft sind, in die sie geraten: Lehrer haben in ihrem Arbeitsalltag oft das Gefühl, dass ihre persönlichen Bemühungen angesichts zu starrer Rahmenbedingungen und zu verschiedenartiger Anforderungen zum Scheitern verurteilt sind. Ihr schulischer Arbeitsauftrag und ihre eigentliche Berufung, ihre Motivation – der Grund, weshalb sie diesen Beruf gewählt haben –, werden oft in den Hintergrund gedrängt. Auch verkürzte Schulzeiten bei gleichbleibend vollem Lehrplan lassen Lehrer häufig enorm unter Druck geraten. Schüler spüren diesen Druck, der auch auf sie Auswirkungen hat. Missverständnisse entstehen, Unzufriedenheit macht sich breit. Die Kinder reagieren ebenfalls mit Schulfrust. Auch Eltern fühlen sich überfordert – sie wollen, dass ihre Kinder die bestmöglichen Chancen haben, sehen Bildung als entscheidenden Schlüssel für Erfolg im späteren Leben, fühlen sich selbst für diesen Erfolg verantwortlich und erhöhen deshalb noch mal den Druck auf ihre Kinder. Sie verfallen dann einerseits häufig in blinden Aktivismus – bezahlen etwa teuren Nachhilfeunterricht –, sehen sich andererseits nicht selten dem Vorwurf ausgesetzt, sie hätten nicht genug Sorge dafür getragen, dass Hausaufgaben erledigt werden.
Sehr geehrte(r) Frau/Herr ................................!
.......................... hat die Hausaufgaben im Fach .......................... gar nicht oder nur unvollständig vorzeigen können.
Wegen der Bedeutsamkeit der Hausaufgaben für den selbstständigen Umgang mit den Unterrichtsinhalten (und damit auch für die Leistungsbeurteilung) bitte ich Sie, Ihr Kind auf die Wichtigkeit der regelmäßigen und vollständigen Erledigung der Hausarbeiten hinzuweisen.
Bitte geben Sie den unteren Teil dieser Mitteilung unterschrieben an mich zurück.
Mit freundlichen Grüßen
Eine solche Mitteilung der Schule an die Eltern ist nichts anderes als ein Verwaltungsvorgang. Dieser amtliche Vorgang
sichert einerseits den Lehrer ab und erfüllt die »Informationspflicht« der Schule über einen »Sachverhalt«,
übergeht jedoch den eigentlichen Adressaten, nämlich das Kind,
und ersetzt so die persönliche Beziehung zu Eltern und Kindern.
Ein Verwaltungsakt statt Beziehung. Schule verwaltet – und das oft an Stellen, wo eine persönliche Beziehung unbedingt notwendig wäre. Deshalb ist die so wesentliche Dreiecksbeziehung Schule–Eltern–Kinder in unserer Gesellschaft oft extrem gestört. Das Thema Hausaufgaben beispielsweise sollte dort besprochen und gelöst werden, wo es hingehört, nämlich zunächst in die Beziehung zwischen Schüler und Lehrer. Es sollte uns im Sinne unserer Kinder darum gehen, eine Möglichkeit für einen persönlichen Dialog zu finden und insgesamt eine neue Atmosphäre, einen »neuen Geist« an Schulen zu schaffen. Wenn Lehrer und Schüler miteinander Verabredungen treffen, die für beide Seiten konstruktiv sind, löst die offizielle Mitteilung der Schule bei Nichterledigung der Hausaufgaben keinen Druck mehr aus, sondern informiert lediglich über einen Zustand oder lädt zum Dialog ein.
An dieser Stelle wird der eine oder andere Leser die Frage stellen: Wie kann ein Lehrer überhaupt allen Kindern gerecht werden? Manche Lehrer finden individuelle Wege; sie räumen zusätzliche Zeit für den Dialog ein. An den meisten Schulen allerdings – so meine Erfahrung – ist dies kaum möglich, selbst wenn die Lehrer guten Willens sind. Zu knapp ist die Zeit, und auch die Kommunikation und der offene Dialog im Lehrerkollegium ist oft auf ein Minimum beschränkt. So bleiben auch Lehrer in ihrer Rolle und Verantwortung oft frustriert zurück.
Das System Schule »funktioniert« über das Prinzip der Sanktionierung.
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