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Du bist ok, so wie du bist: Das Ende der Erziehung (German Edition)

Du bist ok, so wie du bist: Das Ende der Erziehung (German Edition)

Titel: Du bist ok, so wie du bist: Das Ende der Erziehung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Saalfrank
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Zur Rolle des Lehrers gehört es zu sanktionieren, zur Rolle des Schülers, sanktioniert zu werden. Ständige Sanktionen lösen vor allem eines aus: Angst! Sie mögen vielleicht denken, dass ich hier übertreibe oder einem Umstand mehr Gewicht verleihe als nötig. Mitnichten: Der Leiter der Klinikschule der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Köln spricht sogar von »einer beginnenden Epidemie«. Über 30 Prozent der Kinder im Alter zwischen neun und vierzehn Jahren gehen mit Angst zur Schule. Auf Gymnasien leiden einer Studie zufolge 80 Prozent aller Schüler unter Schulangst. Um zu wissen, dass Angst Denken und Kreativität hemmt, muss man nicht in der Hirnforschung bewandert sein. Aber wer sichergehen will, kann es dort noch einmal nachlesen. Es ist erstaunlich, dass ausgerechnet dieser Sachverhalt übersehen wird in einer Gesellschaft, in der es allenthalben um Effizienz und Optimierung geht.
    Wenn wir Schule als einen Ort für Kinder denken, an dem Beziehungen stattfinden und sich vielfältige Potenziale entfalten sollen, dann müssen wir uns neben den reinen (Lern-)Inhalten auch und vor allem um die Frage kümmern, wie gelehrt wird und welche Atmosphäre und welche Haltung zu Kindern notwendig ist, um Kreativität, Individualität, die kindliche Neugier und den angeborenen Entdeckerdrang zu erhalten und so die Voraussetzungen für die Entfaltung von Potenzialen unserer Kinder überhaupt zu schaffen. Um gut lernen zu können, braucht ein Kind eine angstfreie Atmosphäre. Es braucht Ermutigung und Bestärkung und das Vertrauen in seine Versuche und eigenen Ansätze, Aufgaben selbstständig zu lösen. Das Kind braucht eine konstruktive und von ihm als positiv wahrgenommene Beziehung zu seinem Lehrer, in der es eigenständig agieren und wachsen kann, zugleich aber auch Sicherheit und Anerkennung erfährt.
    Ich habe vor allen Menschen, die sich jeden Tag der Herausforderung stellen, Kinder zu unterrichten, große Hochachtung. Es gibt viele Schulen, in denen sich Lehrer engagiert bemühen, eine lernfreundliche Atmosphäre im Klassenzimmer zu schaffen und sich Zeit für Beziehungsarbeit zu nehmen. Vielen von ihnen begegne ich bei meiner Arbeit.
    Ich begegne aber auch Verantwortlichen, die dem bürokratischen Schulalltag verhaftet sind und sich auf keine Veränderung einlassen können (oder wollen). Verantwortliche, die sanktionieren, Verantwortung auf andere abwälzen und wesentliche Veränderungsprozesse nicht zulassen oder verlangsamen, sich den Argumenten von Forschung und Wissenschaft verschließen und so Innovationspotenziale gar nicht sehen. Dabei leuchtet vielen Verantwortlichen – beschäftigen sie sich einmal mit den Argumenten – die Tatsache ein, dass Zeit für Beziehung und die Qualität der Beziehung ausschlaggebend für den Lernerfolg der Kinder und (eigentlich) die notwendige Voraussetzung für gutes Lernen sind. Und doch kommt von diesen Verantwortlichen im staatlichen Schulapparat oder auch einzelnen Lehrern immer ein Haupteinwand, der jede Konstruktivität mit Wucht zerschlägt: Es seien keine Rahmenbedingungen geschaffen für ein solches System, welches eine so intensiv gestaltete Beziehung, eine derartige Atmosphäre des Vertrauens, der Inspiration und des Dialogs und eine solche Haltung des Miteinanders, des Ausprobierens und des Dialogs im Schulalltag zulasse, es fehlten überdies die Voraussetzungen, um in diesem Sinne umsteuern zu können. Außerdem gingen derartige Überlegungen und Reformansätze gänzlich an der Realität an den Schulen vorbei, die sich als gesellschaftlicher Reparaturbetrieb missbraucht fühlten und wo sich Lehrer beständig Angriffen von aggressiven Schülern ausgesetzt sähen. Lernen und Wissensvermittlung scheinen nach solchen Darstellungen erschöpfter Lehrer vielerorts kaum mehr möglich; die Beziehung zwischen Lehrern und Schülern erscheint nur noch beschreibbar in einem dem Krieg entlehnten Vokabular: »Fronten«, »Angriffe«, »Kollateralschaden« – immer mal wieder werden die Konflikte sichtbar, wenn »Brandbriefe« verfasst werden und die Gesellschaft um Unterstützung gebeten wird. Was in diesem Schulalltag zu sehen ist und was von Burn-out bedrohte Lehrer beschreiben, ist das Ende der oben beschriebenen Abwertungsspirale.
    Solche Missstände an unseren Schulen sind mit keinem Geld der Welt zu beheben, sondern nur mit einer gesamtgesellschaftlichen Haltungsänderung und der Übernahme von Verantwortung im jeweils eigenen Bereich. Haltung und

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