Du bist zu schnell
zurückzukehren. Die Tage nach der Party saß ich grinsend in meiner WG und war hin und weg von der Tatsache, daß mich niemand vergessen hatte. Nur meine Familie meldete sich kein einziges Mal. Wenn ich gekonnt hätte, dann hätte ich ihre monatliche Überweisung bei der Bank gesperrt. Aber ich brauchte das Geld.
Der Silvesterparty folgte Jennis Geburtstag, ihrem Geburtstag ein Essen bei Mirko. Fast jedes Wochenende war etwas los, und ich begann wieder regelmäßig auszugehen. Dabei trank ich keinen Alkohol, rauchte nur ab und zu einen kleinen Joint und hielt Abstand zu harten Drogen. Als Didi dann ein Stipendium bekam und für ein Jahr nach London mußte, übernahm ich seine Wohnung. Es war ein Traum im Traum.
Ich verließ die WG und zog in meine erste, eigene Wohnung. Die gute Phase nahm kein Ende — über eine Freundin von Asta fand ich einen Job in einem Kindergarten und nahm mir vor, doch noch einmal zu studieren. Mich interessierten Philosophie und Literaturwissenschaften. Also bewarb ich mich an verschiedenen Unis in ganz Deutschland, denn in Oldenburg wollte ich nicht bleiben. Ich hatte das Gefühl, das Leben erwartete mich da draußen, und es lag nur an mir, ob ich ihm entgegentrat. Es ging mir prächtig. Je mehr ich mich an die Medikamente gewöhnte, um so besser ging es mir. Die Pillen waren ein Dämpfer, der mich am Morgen etwas benebelt aufwachen ließ, den Kopf voller Watte und der Mund schrecklich trocken. Doch auch das besserte sich mit der Zeit.
Alle zwei Wochen ging ich zu einem Arzt, der sich über meine Entwicklung freute. Er reduzierte die Dosierung Schritt für Schritt, wodurch die Nebenerscheinungen fast ganz verschwanden. Bald hatte ich das Gefühl, völlig normal zu sein. Und dann kam Max.
Max war Lisas Vater. Ich sah ihn nur am Morgen, wenn er Lisa in den Kindergarten brachte, am Nachmittag wurde sie von einer Haushälterin abgeholt. Max war zweiundvierzig und trug graue Anzüge. Ich sah ihn nie ohne Krawatte oder messerscharfe Bügelfalten. Seine Tochter war eines von den Mädchen, die beim Abschied taten, als würden sie ihren Vater nicht mehr Wiedersehen. Sie klammerte sich an sein Bein und jammerte. Max warf mir dann einen ratlosen Blick zu und verdrehte die Augen. Sobald er gegangen war, wurde Lisa normal und spielte mit den anderen Kindern, als hätte es ihren Vater nie gegeben.
Ich wünschte, ich hätte etwas von dieser kindlichen Ignoranz gehabt.
Beim Elterntreffen lernte ich seine Frau kennen. Sie war jünger als er, vielleicht Anfang dreißig, und sah toll aus. Eine von diesen Frauen, von denen ich mir immer vorstellte, daß sie in der Welt von Modezeitschriften lebten. Als sie mir die Hand reichte, sagte sie, sie hätte viel über mich gehört. Erst dachte ich, Max hätte von mir erzählt; als ich dann aber begriff, daß sie von Lisa sprach, wurde mir mit einem Mal bewußt, daß ich mich verliebt hatte. Es war ein simples Mißverständnis, das mir Klarheit verschaffte.
Ich dachte unentwegt an diesen Mann.
Zu Weihnachten brachte mir Lisa ein Geschenk in den Kindergarten. Es war ein Roman von Louise Erdrich, und als ich mich bedanken wollte, sagte sie:
- Mußt du Papa Danke sagen.
- Das ist von deinem Papa?
- Der hat’s eingepackt, sagte sie und ging spielen
Am nächsten Morgen bedankte ich mich. Max sagte, das wäre doch nicht der Rede wert, und ich sollte das Buch unbedingt lesen, es würde ihn interessieren, was ich davon hielt.
Wir waren auf Kurs.
Ich beendete das Buch innerhalb von vier Tagen. Max war überrascht, wahrscheinlich hatte er mir nicht zugetraut, in der Woche über zwei Seiten >Brigitte< hinauszukommen.
-Und?
-Was und? sagte ich und wich einen Schritt zurück. Max stand in dem engen Flur des Kindergartens so nahe vor mir, daß ich seine Wärme spüren konnte.
- Das Buch, wie hat es dir gefallen?
Ich errötete wie ein Teenie, zuckte mit den Schultern, sah Max auf den Mund.
- Es ... es war großartig, antwortete ich, Und so poetisch, daß ich ...
Mein Blick wanderte hoch zu seinen Augen, aber er sah an mir vorbei, weil Lisa angerannt kam, um sich an seinem Bein festzuhalten.
- Geh nicht weg, sagte sie.
- Ich muß arbeiten.
- Mußt du nicht!
- Muß er doch, sagte ich.
- Das ist mein Papa, zischte mich Lisa an.
Nicht mehr lange, hätte ich beinahe geantwortet.
Am Dienstagabend klingelte es an der Tür, ich öffnete, und da stand Max. Grauer Anzug und Bügelfalten. Er stand
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