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Du bist zu schnell

Titel: Du bist zu schnell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoran Drvenkar
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der Clique wußte davon. Nicht Jenni und nicht Mirko. Die Angst in mir war zu groß. Die Schnellen waren auf meiner Spur. Ich hatte die Tür wieder aufgestoßen, und Asta war deswegen gestorben.

6

    Ich wurde ein anderer Mensch und nahm mein Medikament regelmäßig, hörte auf zu rauchen und trank keinen Alkohol mehr. Zweimal in der Woche schwitzte ich in einem Fitneßstudio und wälzte Unmengen von Büchern. Ich wollte alles über Psychosen erfahren. Ich suchte Erlebnisse, die sich mit meinen deckten und in dieselbe Richtung wiesen. Wie kamen andere Menschen mit solchen Erfahrungen zurecht? Taten sie etwas dagegen oder versuchten sie, mit dem Zustand zu leben? Welche Heilmethoden gab es?
    Neben meinem Studium war ich in Psychologie als Gasthörerin eingetragen und begann parallel zu den Sachbüchern die Literatur nach ähnlichen Fällen zu durchforsten.
    Um Geld zu verdienen, kellnerte ich in einem Café, manchmal auch in dem Fitneßstudio, was es mir leichter machte, die Stunden dort zu bezahlen.
    Das Studieren wurde zu einer Lebensaufgabe, die Dinge liefen.
    Niemand wollte mehr von mir, als das, was ich zu geben hatte. Es war ein mir ganz neues Gefühl. Lockere Bekanntschaften entstanden, nichts Ernsthaftes entwickelte sich daraus. Ich war einfach ich und träumte davon, anderen Menschen zu helfen. Aber natürlich stimmte das so nicht. Wie ich es auch drehte und wendete, eigentlich ging es nur darum, mir selbst zu helfen. Seit Astas Tod war eine unglaubliche Angst in mir, und ich versuchte für diese Angst eine Heilung zu finden. Besonders in Träumen wurde die Angst lebendig. Mehrmals in der Woche erwachte ich schweißgebadet und mußte die Lichter in der Wohnung anmachen, um mich zu beruhigen.
    In meinem Traum schwebte das Gesicht der Frau über mir, und ich hörte sie sagen: »Das ist das dritte Mal.« Darauf ich: »Es ... es tut mir leid.« Und dann die Frau: »Lüg nicht, nichts tut dir leid. Das hier darf nie wieder passieren. Jedes Mal, wenn du dieTür öffnest, kostet es dich.Verstehst du?«
    Ich verstand, ich verstand sehr gut und erwachte jeden Morgen naßgeschwitzt in meinem Bett.
    Nichts half. Keine Bücher und kein Nachdenken, rein gar nichts half gegen meine Angst, die Psychose zufällig auszulösen und die Welt der Schnellen zu betreten.
    Wer wird dann sterben? fragte ich mich, Und warum bestraften sie nicht mich?
    Weil du eine von ihnen bist, war eine Antwort, die mir in den Sinn kam.
    Aber warum dann die Bestrafung?
    Ich verstand es nicht und brach bei jedem kleinen Anzeichen von Unruhe in Panik aus. Unzählige Male nahm ich mein Medikament außerhalb der vorgeschriebenen Zeit, nur um sicherzugehen. Einfach nur, um sicherzugehen.

    Der Tag, an dem ich begriff, daß die Wirkung meines Medikaments nicht mehr ausreichte, war ein streßfreier Tag. Das Wetter erinnerte an Sommer, meine Laune war blendend und zwei Kommilitoninnen hatten mich zum Frühstück eingeladen. Ich kam am Nachmittag zurück nach Hause und nahm ein Bad, arbeitete am Computer und las ein wenig, als ich ein Geräusch hörte. Ich schaute ins Schlafzimmer und dann in die Küche. Da war nichts. Das Geräusch wiederholte sich, es war ein lautes Schaben. Ich stellte mich ans Fenster. Draußen dämmerte es, die Schatten wirkten grau und verwaschen. Ich kniff die Augen zusammen, um besser zu sehen. Und dann sah ich sie — auf dem Hof saß die Katze des Hauswarts und kratzte sich.
    Ach, mehr ist es nicht, dachte ich und wollte mich eben abwenden, als mich der Geruch überschwemmte. Schwer und süßlich. Wilder Jasmin und der Duft von gegossener Blumenerde. Ich roch Zigarettenrauch und ein herbes Parfüm. Im selben Moment bemerkte ich im gegenüberliegenden Haus eine Gestalt. Sie lehnte mit den Armen auf dem Fensterbrett und rauchte. Für wahrscheinlich zwanzig Sekunden stand ich da und rührte mich nicht. Meine Wohnung lag im vierten Stock, das Fenster war geschlossen. Es war wieder so weit.
    Ohne zu überlegen wandte ich mich vom Fenster ab und rammte meine Stirn gegen die Küchentür.
    Als ich wieder zu Bewußtsein kam, lag ich auf dem Boden und mein Kopf fühlte sich an, als wäre er gespalten. Ich zog mich am Türrahmen hoch und torkelte ins Bad, um mich in die Toilette zu übergeben. Ich war so erledigt, daß ich neben dem Klo einschlief. Das Telefon weckte mich. Ich wusch mir das Gesicht und sah mir an, was ich getan hatte. Die Platzwunde an meiner Stirn war blutig verkrustet, aber es hatte geklappt, ich hatte früh genug die

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