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Du bist zu schnell

Titel: Du bist zu schnell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoran Drvenkar
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reinzukommen. Ich schlich mich an. Die Wohnungstür war einen Spalt geöffnet, die Kette gespannt. Mareks Gesicht tauchte im Türspalt auf.
    —Was tust du denn hier? fragte ich.
    —    Ich ... war in der Gegend. Ich dachte, ich schau mal vorbei, bevor ihr ins Kino geht.
    -Theater, sagte ich.
    -Was?
    —Wir gehen ins Theater.
    —    Oh.
    Ich schloß die Tür. Das war zu viel für mich. Ich konnte ihn nicht reinlassen. Ich mußte ihn reinlassen. Ich mußte irgend etwas tun, sonst...
    Ich wußte nicht, was sonst. Für eine Minute drückte ich mir ein Sofakissen aufs Gesicht und schrie. Danach löste ich die Kette und ließ Marek in die Wohnung. Er war ein Anker, ich klammerte mich an seinen Hals, ich wünschte, ich hätte ihn nie loslassen müssen. Dann tat ich es doch, und er sagte:
    —    Ich habe Bagels mitgebracht, ich dachte, ihr habt vielleicht noch nicht...
    Er verstummte, sah sich in der Wohnung um.
    —    Stör ich?
    Ich hob die Schultern, mir fiel nicht ein, was ich sagen sollte, ich verschränkte die Arme vor der Brust.
    —Was ist hier los, Val?
    Marek versuchte, meinen Blick aufzufangen, dann sah er, daß ich die Badezimmertür anstarrte. Hatte ich das Licht ausgemacht? War ich das gewesen? Die Tür war angelehnt. Marek ging auf sie zu, schaltete das Licht an und verschwand im Bad. Lange Zeit sah und hörte ich ihn nicht.
    —    Ist... ist sie tot? flüsterte ich, als Marek aus dem Bad kam.
    Er löschte das Licht und zog die Tür hinter sich zu. In diesem kurzen Moment wußte ich, daß da nichts war. Jenni war nie nach Kassel gekommen, wir hatten nie im Internet nach den Schnellen gesucht, und es gab keine Leiche, kein Blut, keine zwei Finger, die fehlten. Ich und meine verdammte Psychose hatten einen wilden Tanz aufgeführt. Ich hätte beinahe losgelacht, als Marek sich mit dem Rücken gegen die Tür lehnte und an ihr herunterrutschte, bis er hockte.
    In dem Moment verschwand ich in mir und hatte nur noch einen einzigen Fokus. Die verschlossene Tür des Badezimmers. Alles andere wich von mir, als würde es in rasender Geschwindigkeit weggefahren werden. Ich verlor jegliches Körpergefühl. Ich war nur noch zwei Augen, die eine Tür ansahen.
    - Okay, sagte Marek von weit, weit weg, Was ist passiert?
    Jemand drückte die richtigen Knöpfe in mir, mein Mund setzte sich in Bewegung, und ich wollte Marek alles erzählen. Es kam nicht dazu. Da war plötzlich Dunkelheit, ich fiel warm in sie hinein und spürte nichts mehr.
    Erst auf dem Weg nach Berlin wurde ich im Auto wieder wach und erzählte Marek meine Geschichte auf dem Parkplatz eines McDonald’s.

MAREK
1
    Das Zimmer ist winzig und geht auf einen Hinterhof hinaus. Eine dunkle Stelle auf dem Teppich sieht aus wie ein Weinfleck und erinnert mich an das Blut von Vals Freundin.
    Ich lösche das Deckenlicht und schalte die Nachttischlampe ein. Es ist halb sechs, der Himmel über Berlin ist bleiern grau. Ich möchte die nächsten zwei Tage nichts anderes tun als schlafen. Meine Arme und Beine sind schwer von der Autofahrt, hinter meinen Schläfen ist ein Stechen, die Rückfahrt nach Kassel wird ein Alptraum.
    Val hat sich im Bad eingeschlossen. Ich lege mein Ohr an die Tür. Nur die Lüftung ist zu hören. Jemand geht an unserem Zimmer vorbei und hustet. Ich streife mir die Schuhe ab, öffne das Fenster einen Spalt und lasse mich auf das Bett fallen, ohne die Tagesdecke wegzuschlagen. Mein Kopf ist überfüllt mit Vals Geschichte. Ohne zu blinzeln starre ich auf das gelöschte Deckenlicht, bis die Umrisse verschwimmen. Glossodynie, was für ein Witz! Das Surren der Lüftung wird für Sekunden lauter, ein Lichtbalken zerschneidet das Grau der Zimmerdecke, dann löscht Val das Licht im Bad, und das Surren verstummt. Ihre Schritte sind lautlos auf dem verdreckten Teppich. Das Bett sinkt ein, dann liegt Val neben mir, den Arm über meiner Brust, die Hand auf meinem Herzen. Sie drückt mir ihr Gesicht gegen den Hals, reglos liegen wir nebeneinander. Vals Wimpern streifen mich bei jedem Blinzeln, mein Herz schlägt unter ihrer Hand. Ich schließe die Augen. Schritte knirschen über den Hinterhof, das Schlagen eines Mülltonnendeckels, die Schritte verschwinden wieder. Ruhe. Kein Blinzeln mehr. Ich spüre nur noch meinen Herzschlag und Vals regelmäßige Atemzüge.
    Ich erwache, als ein Zimmermädchen an die Tür klopft. Sie kommt herein, sieht mich auf dem Bett liegen und entschuldigt sich, bevor sie dieTür hinter sich schließt.
    Val sitzt in

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