Du bist zu schnell
Wände huschen. Ich weiß, da ist nichts, ich bin völlig übermüdet.
Theo nimmt einen zweiten Schluck Milch und sagt:
— Ich wünschte, es würde die Schnellen geben.
- Soll das ein Witz sein?
- Nein, ich meine es ernst.
- Denn wenn das ein Witz war, sage ich, Dann kommt er nicht bei mir an. Ich habe für dieses Jahr keinen Humor mehr übrig.
- Dann sind wir schon zu zweit.
- Ja, dann sind wir zu zweit, stimme ich ihm zu.
Ohne, daß ich zu fragen brauche, beginnt Theo von Jenni zu erzählen. Kleine Szenen - woher sie sich kennen, was er an ihr mochte, was ihm nicht gefiel. Er redet an einem Stück und ohne große Pausen, und ich glaube, es ist die Dunkelheit, die es möglich macht. Von mir wird nur erwartet, daß ich stillsitze. Zwischendrin sehe ich die beiden vor mir. Sein Arm um ihre Hüfte; wie sie ihr Lachen an seinem Hals erstickt, weil es ihr peinlich ist, im Kino vor Spannung laut aufzuschreien; wie sie seine Hand hält, als er im Krankenhaus die Magenspiegelung machen ließ und der Streit, als sie dachte, er würde sich vor ihrem Geruch ekeln. Kleinigkeiten.
Theo verstummt irgendwann und sieht aus dem Fenster, seine Lippen bewegen sich lautlos, dann preßt er sie zusammen.
-Was hast du mit Jenni gemacht? frage ich.
Er sieht mich nicht an.
- Schon gut, sage ich und bereue es, gefragt zu haben.
Theo trinkt die Milchpackung leer, faltet sie zusammen
und steht auf, um sie in den Mülleimer zu werfen. Danach öffnet er den Kühlschrank und sieht hinein. Das Licht ist grell und vertreibt die Schatten von den Wänden. Theo stellt Brotaufstrich und Käse auf denTisch, gibt mir einen Teller.
-Toast?
Ich nicke, er schließt den Kühlschrank und legt zwei Scheiben Weißbrot in den Toaster. Es ist merkwürdig, so im Dunkeln zu sitzen. Aus den Schlitzen des Toasters schimmert es rot.
- Jetzt mal ganz ehrlich, sagt Theo, So zwischen dir und mir und niemand anderem, was hältst du von der ganzen Sache?
Ich zögere, denn ich will nicht zu schnell antworten. Manchmal ist mein Mund schneller als mein Kopf. Ich will, daß der Toast hochspringt, bevor ich antworte. Der Toast denkt nicht daran, irgendwohin zu springen. Also sage ich:
- Ich glaube Val, daß sie daran glaubt. Ich weiß nicht, ob es echt ist. Vielleicht steckt etwas Plausibles dahinter. Irgend jemand, der Val verfolgt, und dann auf Jenni gestoßen ist, obwohl er Val haben wollte. Etwas Rationales, verstehst du?
- Keine Schnellen?
Ich will es nicht sagen, es würde wie ein Verrat klingen, deswegen formuliere ich es anders:
- Nenn es die Schnellen oder die Langsamen, gib ihnen irgendeinen Namen, das ist egal. Was zählt, ist, daß jemand existiert, der am Tod deiner Freundin schuld ist.
Der Toast springt raus, Theo legt mir eine Scheibe auf den Teller.
- Und was ist, wenn sich Jenni selbst umgebracht hat? sagt er, Ist dir schon mal der Gedanke gekommen?
- Theo, sage ich und versuche eindringlich zu klingen, Niemand bringt sich auf diese Weise um.
Er nickt ein paarmal, als würde er über meine Worte nach-denken, dann bestreicht er seinen Toast. Ich warte auf eine Reaktion. Ich würde das gerne mit ihm ausdiskutieren, denn ich habe das Gefühl, daß er wirklich denkt, Jenni könnte sich das selbst angetan haben. Sich und seinem Kind. Aber Theo hat anscheinend kein Interesse daran. Er beißt von seinem Toast ab und fragt:
—Was habt ihr jetzt vor?
In mir ist ein merkwürdiger Zwiespalt. Auf der einen Seite möchte ich Theo nichts davon erzählen, daß Val eine ihrer
Ärztinnen aufsuchen will. Ich möchte ihr alleine beistehen. Auf der anderen Seite will ich Theo dabeihaben, damit er mir beisteht. Es ist nicht so, daß ich Val mißtraue, es ist eher so, daß ich nicht aus ihr schlau werde.
Ich erzähle ihm, daß wir morgen früh eine Ärztin aufsuchen wollen, die Val betreut hat. Val will mit ihr und, wenn es geht, auch mit ein paar Patienten sprechen, die ähnliche Erfahrungen hatten.
- Gibt es viele davon?
- Eine Menge. Val meint, auf der Station herrscht ein regelrechter Klüngel, wer an welche Erscheinungen glaubt und wer in welcher Dimension lebt. Außerdem gab es einen Arzt, bei dem sich Val sicher ist, daß er zu den Schnellen gehört.
Theo nickt, damit ich weiterspreche. Sein Gesicht hat in den letzten Minuten Konturen angenommen, die Augen sind zu erkennen, die Wangenmuskeln treten beim Kauen deutlich hervor. Das Licht vor dem Fenster
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