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Du bist zu schnell

Titel: Du bist zu schnell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoran Drvenkar
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ihrer Oberlippe perlt Blut. Ein Tropfen löst sich, bevor ihn Val weglek-ken kann, und landet auf der Tischplatte.
    —    Oh, sorry...
    Ich springe auf, befeuchte ein Küchentuch und reiche es ihr. Val drückt es sich an die Oberlippe und tupft das Blut weg. Für Sekunden starrt sie den Fleck auf der Tischplatte an und sagt dann:
    —    Ich war dumm, ich ... ich dachte, ich könnte sie ...
    Sie schüttelt den Kopf, das Haar fällt ihr ins Gesicht, die
    Tränen laufen an ihren Wangen herab. Sie wischt sich mit der bandagierten Hand über die Nase.
    -    ... ich dachte, ich hätte eine Chance ... nur eine kleine, aber ich hatte keine, gar keine, es ... es tut mir so leid ...
    Val verstummt. Ihr Mund zittert, nur langsam beruhigt sie sich, dann bleibt ihr Blick an der Pillenschachtel hängen, die neben meiner Kaffeetasse liegt.
    -    Gibst du mir eine?
    Ich drücke ihr eine Pille aus der Schachtel. Es zieht mir das Herz zusammen, als Val den Mund öffnet. Wie ein krankes Kind, das seine Medizin entgegennimmt. Ich lege ihr die Pille auf die Zunge, Val spült mit einem Schluck Orangensaft nach und bedankt sich. Ich kann meine Augen nicht von ihrem Mund nehmen. Theo und ich warten, daß sie zu erzählen beginnt. Nichts geschieht. Dann sieht Val von einem zum anderen, ihr Gesicht leuchtet auf, und sie sagt:
    —    Aber es hat geklappt. Ich habe sie gesehen, ich habe sie wieder gesehen. Es hat wirklich geklappt.
    Und bricht wieder in Tränen aus.
VAL
1
    Außer mir waren noch zwei Pärchen und eine alte Frau im Schwimmbad. Wir nickten uns zu und ignorierten einander. Ich bereute es, am Automaten keine Badekappe gezogen zu haben. Das Wasser war reinstes Chlor.
    Nach fünf Runden legte ich eine Pause ein, breitete die Arme aus und ließ mich auf dem Rücken treiben. Mir gefiel, daß nur mein Gesicht aus dem Wasser schaute, dann begann dieses sanfte Rauschen im Kopf. Würde ich jemals Tauchen gehen, könnte es passieren, daß ich freiwillig nicht mehr hochkomme. Die Pärchen verließen das Becken. Sie alberten herum, dann schubste eine der Frauen einen der Männer, und er landete mit einem schiefen Sprung wieder im Wasser.
    - Du Schlampe! rief er lachend und stieg wieder aus dem Becken.
    Die Frau boxte ihm spielerisch gegen die Schulter, dann verschwanden die vier in den Duschen. Die alte Frau hatte das beobachtet und schüttelte den Kopf. Sie trug eine geblümte Badekappe und schwamm alle paar Meter an den Beckenrand, um zu verschnaufen.
    Ich überlegte mir, wie sie reagieren würde, wenn ich jetzt untertauchte, um auf ihrer Seite wieder aufzutauchen. Wahrscheinlich würde sie den Kopf schütteln und aus dem Bek-ken steigen. Ich erwartete, daß sie ging. Ich wollte schon immer mal ganz allein in einem Schwimmbad sein. In einem Schwimmbad, in einem Kino, in einer Bäckerei, in einem Supermarkt.
    Als hätte die alte Frau meine Gedanken gehört, stieg sie aus dem Becken und nahm umständlich ihre Badekappe ab. Sie hatte plattgedrücktes, kurzes Haar, und ich war mir sicher, daß sie in der Öffentlichkeit eine Perücke trug.
    Ihre Schritte patschten auf den Fliesen. Während sie davonging, sah ich kleine Perlen unter ihren Füßen aufsteigen. Ich wußte, daß es Spritzer waren, doch für diesen einen Moment wurden sie in meinen Augen zu Perlen.
    Ich schwamm auf die andere Seite. Die Perlen waren im Wasser verschwunden. Ich tauchte unter, tauchte auf. Die Schritte der alten Frau waren nicht mehr zu hören. Ich war enttäuscht, keine Perlen gefunden zu haben und lachte laut los. Erschrocken hielt ich mir die Hand vor den Mund. Gott, war ich kindisch.
    Allein.
    Ich schaute mich um.
    Stille.
    Ich konnte jetzt machen, was ich wollte.
    Ich stieß mich vom Rand ab und trieb in die Mitte. Ich spürte, wie das Wasser mir auswich, spürte eine Veränderung in den Wellen. Als wäre ich nicht allein im Becken. Als würde gleichzeitig mit mir etwas durch das Wasser gleiten und Kurs auf mich nehmen.
    Ich hatte keine Angst. Ich wartete schon so lange auf diesen Moment, daß Angst einfach nicht aufkam. Erwartung, ja. Freudige Erwartung ist das richtige Wort dafür.
    Komm.
    In der Mitte des Beckens bremste ich meine Bewegungen. Alles an mir erstarrte. Mit ausgebreiteten Armen legte ich den Kopf in den Nacken und sah die niedrige Decke des Schwimmbades als einen grellen Sternenhimmel. Die Lichter zogen Schlieren, ein leises Plätschern war zu hören. Ich trieb reglos im Wasser und spürte den Widerstand, die Spannung der

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