Du denkst, du weißt, wer ich bin
anschaute. »Hm, dieses Kleid ist nicht das richtige, oder?«, sagte sie. »Wenn du ein bisschen … Egal, mach dir nichts draus. Es hat doch trotzdem Spaß gemacht, es anzuprobieren? Also, sei ehrlich. Wie findest du es an mir?«
»Es lässt dich irre gut aussehen«, gab ich zu und ging rückwärts zu meiner Suppendose zurück. Ich konnte es kaum erwarten, wieder meine Schuluniform anzuziehen.
Miranda hörte auf herumzuwirbeln. »Nein, ich lasse es gut aussehen. Ohne mich wäre es nur irgendein formloses Stück Stoff.« Sie drehte sich noch einmal. »Meinst du, es wird Dallas gefallen?«
Ich wusste, was mein Magic-8-Ball sagen würde. »Nichts ist so sicher wie das.«
»Also gut. Ich nehme es«, sagte Miranda.
»Das meinst du nicht ernst. Es muss ein Vermögen kosten.«
»Ich habe Geld«, widersprach Miranda. »Oona lässt immer ihre Geldbörse herumliegen.«
Ich sah sie vorsichtig an. Wieder ein Scherz? Ich konnte es nicht sagen.
»Ich kaufe dir auch eins«, fügte sie hinzu. »Es könnte dich motivieren, an deiner Figur zu arbeiten.«
»Nein, vielen Dank«, sagte ich schnell. »Ich würde es sowieso nie tragen.«
Aber Miranda tanzte schon zurück in ihre Umkleide. Ich war mir nicht sicher, ob sie mich überhaupt gehört hatte. Ich verschwand in meiner eigenen Dose.
Als ich fertig umgezogen war, schlenderte ich zurück in den Verkaufsraum und versuchte mein Bestes, das Kleid ordentlich wieder auf dem Bügel zu arrangieren. Dann sah ich mich um. Miranda stand mit dem Rücken zu mir und beobachtete die Vögel in der Voliere. Sie trug wieder ihre Schuluniform, von dem schwarzen Kleid keine Spur. Einige der Vögel hockten auf dem Boden des Käfigs und pickten ein paar Körner auf, aber die meisten saßen zusammengekauert auf einem Ast, die Federn jämmerlich aufgeplustert. Einige zerrten mit ihren Schnäbeln oder Klauen an den silbernen Bändern um ihren Hals.
»Es muss total zum Kotzen sein, dort eingepfercht zu sitzen mit einem riesigen blöden Band um den Hals«, sagte Miranda, als ich auf sie zukam. Sie klang traurig. »Wärst du gernda drin?«, fragte sie. »Damit ein Haufen Typen dich beglotzen kann?«
Ich schüttelte meinen Kopf. »Niemals.«
»Ich auch nicht«, sagte Miranda. Sie sah sich im Raum um mit einem Blick, den ich langsam kannte. Der besagte, dass sie etwas im Sinn hatte. »Wenn ich sage lauf «, murmelte sie, »lauf. Okay?«
»Wohin?«, wollte ich wissen.
Aber Mirandas Hand war schon am Griff der Volierentür. Sie drehte sie heftig. Das nächste was ich mitbekam, war, dass die Käfigtür aufgestoßen wurde. In der Luft um uns graue und silberne Streifen und das Geräusch von Flügelschlagen. Das war so laut, dass es alles andere übertönte – die plötzliche Überraschung und Angst der anderen Gäste, das Wummern der DJ-Musik. Irgendwie schaffte es Mirandas Stimme aber, das Chaos zu durchdringen.
»Lauf!«
Wir stürzten zur Tür und drängten uns durch die vielen Leute auf der Straße, bis wir um die Ecke gebogen waren. Ich war ziemlich sicher, dass uns niemand gefolgt war, aber Miranda rannte weiter, also rannte ich auch. Ich fühlte mich auf einmal stark, als ob ich für immer laufen könnte. Wir sprinteten durch die Straßen, wichen Fußgängern aus, ignorierten rote Ampeln und schlängelten uns zwischen den Autos durch.
»Halt!«, keuchte ich schließlich und lehnte mich gegen eine Wand.
Miranda war nicht einmal außer Atem. Sie fing an zu lachen. »Wie krass war das denn?!«
Ich lachte auch – fast hemmungslos. Ich war fix und fertig, aber ich fühlte mich auch ermutigt. Tu etwas, wovor du Angst hast. Nur weil du davor Angst hast . Ich hatte gedacht, das sei das dickste Klischee aller Zeiten gewesen, als Doktor Richter das gesagt hatte. Aber ich fing an zu verstehen, was sie meinte.
»Stell dir vor, wie es jetzt in dem Laden aussieht«, meinte Miranda. »Stell dir diesen Wachmann vor, wie er versucht, die Tauben einzufangen. Und all diese Schönheiten, die aufpassen müssen, dass sie nicht von oben vollgeschissen werden.«
Ich kicherte. Dann kicherte Miranda. Und das war’s. Wir waren total daneben – und lachten, als könnten wir nie wieder damit aufhören.
Den Rest des Tages verbrachten wir mit Entdeckungen. Wir versuchten, vor der Heimfahrt so viele verschiedene Orte zu besuchen wie möglich. Es könnte komisch klingen, dass man einen Ort auskundschaftet, den man doch eigentlich längst kennt, aber die Stadt erschien mir auf einmal fremd. Nicht auf unangenehme
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