Du denkst, du weißt, wer ich bin
Art. Ich fühlte mich leicht und irgendwie spritzig, als wir umherstromerten, uns gegenseitig auf Sachen aufmerksam machten, uns unterhielten. Wir hörten nur auf zu reden, wenn wir lachten – und das taten wir oft. Es reichte schon, wenn Miranda hinter ein paar Vögeln herwatschelte, dass wir uns wieder schlapplachten, uns krümmten und den Bauch hielten.
»Gibt es irgendwas hier, wo du schon immer mal hingehen wolltest?«, fragte mich Miranda plötzlich.
Zuerst fiel mir nichts ein – all die Orte, die ich so gerne sehen wollte, waren in Übersee. Aber als wir weiterliefen, dachte ich über die Gebäude nach, die ich bisher nur von außen kannte. An denen ich vorbeigegangen war und bei denen ich mich fragte, wie sie wohl innendrin aussahen.
Ich schlug den Ballsaal in der Kuppel des Hauptbahnhofs vor. Ihn wählte ich, weil ich überzeugt war, Miranda würde uns da nicht hineinbekommen. Der Ballsaal war seit Jahren aus Sicherheitsgründen für die Öffentlichkeit gesperrt. Aber ich hatte Miranda unterschätzt. Sie überredete den Bahnhofsvorsteher, uns in die Kuppel zu lassen, indem sie eine Geschichtshausaufgabe für die Schule erfand. Sie zauberte ein paar irrwitzige Fakten über den Bahnhof aus dem Ärmel, die ich für erfunden hielt, bis ich sah, dass der Bahnhofsvorsteher mit dem Kopf nickte. Ja, das stimmt . Am Ende ihrer kleinen Unterhaltung hätte er ihr glatt noch den Schlüsselbund für den Ballsaal überlassen, wenn sie ihn darum gebeten hätte.
Danach liefen wir einfach weiter, bis wir uns in einer anderen Gasse befanden, wo es viele winzige Kunstgalerien gab – solche, die ich normalerweise nie betrat, aus Angst, ich könnte irgendeine millionenschwere Vase zerdeppern. Miranda blieb vor einer der Galerien stehen und schaute durch das Fenster. Die Galerie war leer bis auf einen großen Typen mit dunklen gewellten Haaren, der an einem Schreibtisch saß und ein Buch las. Nach dem, was ich erkennen konnte, waren alle ausgestellten Gemälde fast identisch: eine junge Frau, deren Gesicht von kurzem rotem Haar eingerahmt wurde. Ihre Augen sahen einen direkt an. Es musste dort einhundert davon geben – einige sehr klein, einige riesig – und sie nahmen jeden einzelnen Zentimeter an Wandfläche ein.
»Lass uns reingehen«, sagte Miranda und stieß die Tür auf. »Wahrscheinlich ist es Plunder, aber wir sehen es uns mal an.«
Es war nervtötend, in der Galerie zu stehen, umgeben von all diesen Gesichtern.
»Wenn ich dieses Mädchen wäre, würde ich mich vor dem Maler in Acht nehmen«, flüsterte Miranda. »Der Typ scheint voll besessen zu sein.« Ich drehte mich um. »Glaubst du, das da drüben ist der Künstler?« Er sah süß aus, aber irgendwie verkrampft.
»Ja«, meinte Miranda. »Das ist er.«
Der Typ sah von seinem Buch auf, als er Miranda sprechen hörte, einen Ausdruck größter Verblüffung in seinem Gesicht.
»Er hat wohl noch nicht oft Kunden gehabt«, sagte ich aus Spaß.
Dann stand der junge Mann von seinem Stuhl auf und kam mit irrem Blick auf uns zugerannt. Er sprach rasend schnell auf Miranda ein, in einer Sprache, die ich für Spanisch hielt.
Miranda stand einen Moment still. Dann schüttelte sie den Kopf. »Es tut mir leid«, sagte sie entschieden. »Ich verstehe Sie nicht.«
Der Typ packte ihre Hand, hielt sie an seine Brust und redete. Miranda zog die Hand weg. »Ich verstehe nicht«, wiederholte sie. »Sie verwechseln mich mit jemandem.«
Da sackte der Mann zusammen, sein Gesicht war total verwirrt.
Miranda sah mich von der Seite an. »Lass uns gehen«, sagte sie. Als wir draußen waren, atmete sie ganz tief aus. »Du glaubst nicht, wie oft mir so etwas passiert.«
»Er sah so verrückt aus«, sagte ich, ohne meine Faszination überspielen zu können.
»Er sagte, all die Gemälde seien von mir«, meinte Miranda. »Jedes einzelne ein Tribut an meine Schönheit .« Sie lachte. »Schade nur, dass sie de mierda waren.«
»Du hast ihn verstanden?«, rief ich aus und versuchte vergeblich zu verbergen, wie beeindruckt ich war.
»Natürlich«, sagte Miranda. »Ich habe bei einem Onkel in Spanien gelebt.«
Die Uhr der Stadthalle schlug zwei. »Wir sollten uns auf den Heimweg machen«, sagte ich. Es gab keine Möglichkeit, es noch in irgendeine Nachmittagsstunde zu schaffen, aber ich musste nach Hause, bevor Mum Verdacht schöpfte.
Miranda hielt einen Finger hoch. »Einen Ort noch«, bestimmte sie.
Sie führte mich zu diesem Spitzenhotel ganz oben in der City. Daran war ich
Weitere Kostenlose Bücher