Du Durchschaust Mich Nicht

unbewusst. Denk nur einmal an dein letztes Date: Du bist wahrscheinlich eine gefühlte Ewigkeit zwischen Kleiderschrank und Spiegel hin und her gelaufen, auf der Suche nach dem optimalen Kleid, das deine Taille betont und die Oberschenkel kaschiert. Oder konntest du das Hemd, das so geschnitten ist, dass dein kleiner Bauchansatz verdeckt wird, während es deine trainierten Oberarme zur Geltung bringt, nicht finden? Ständig versuchen wir, was uns selbst gefällt, hervorzuheben, und was uns nicht passt, zu verbergen.
    Auch wer etwas verkaufen möchte, wird meist darauf achten, von Produktmängeln abzulenken. So entpuppt sich beim Gebrauchtwagenkauf im Internet das solide Schnäppchen dank Photoshop nicht selten als Schrottlaube. Und die Besichtigung im Winter nach 16  Uhr hat der Verkäufer nur deshalb arrangiert, weil man Kratzer im Lack in der Dämmerung nicht mehr so gut sieht. Wäre mir beim Kauf meines ersten Autos auch beinahe passiert, zum Glück war ein Freund dabei, der mich in meinem Eifer bremste.
    Bei der Suche nach einer eigenen Wohnung in Bochum habe ich eine Liste gemacht, was mir persönlich wichtig ist. Auf dieser Liste stand ganz oben: Platz für Requisiten, Geräte und Werktisch. Ich hatte damals noch keinen separaten Werkraum mit Lager; meistens ließ ich meine Gerätschaften in der Kfz-Werkstatt eines Freundes in Hagen bauen, oder ich machte mich zu Hause bei meinen Eltern selbst ans Werk. Neben genügend Stauraum waren mir bei meiner ersten eigenen Wohnung außerdem wichtig: eine sympathische Hausgemeinschaft, eine möglichst ruhige Lage mit guter Verkehrsanbindung, ausreichend Steckdosen und moderne Verkabelung und so wenig Einblick von außen wie möglich.
    Eine der ersten Wohnungen, die ich besichtigte, war ein Volltreffer, es passte einfach alles. Ohne lange zu überlegen, sagte ich zu. Da hatte ich Glück, denn auch Immobilienmakler sind Meister der Ablenkung, die gerne mal den einen oder anderen Makel verschweigen.
    Eine sehr gute Freundin von mir, Patricia, zog vor einiger Zeit von Hagen nach Berlin. Leider konnte sie vorab keine Wohnungen besichtigen, da sie kurzfristig einen Job bei einem Berliner Verlag annahm. Von Hagen aus, wo sie noch für ihre Abschlussprüfungen an der Uni lernte, versuchte sie, das meiste telefonisch zu regeln; sie sah sich Wohnungen via Internet an und hätte sogar beinahe den Mietvertrag für ihre »Traumwohnung« in Friedrichshain unterschrieben, ohne sie vorher in Augenschein genommen zu haben. In der Internetanzeige war die kernsanierte Altbauwohnung in einer begrünten Wohnstraße ausführlich beschrieben, sämtliche Daten waren angegeben. Zum Glück konnte ich Patricia überreden, doch noch zu einer Besichtigung zu fahren, um alles persönlich unter die Lupe zu nehmen, bevor sie ihren Namen unter irgendeinen Vertrag setzte.
    Es handelte sich tatsächlich um eine Traumwohnung: hohe Decken, viel Stuck und schöne alte Holzdielen – innerhalb der Wohnräume war wirklich alles perfekt. Das Problem tat sich erst auf, als ich das Fenster öffnete, um etwas Luft ins stickige Schlafzimmer zu lassen. Doch statt Frischluft zog Küchengeruch zu uns herein. Erst jetzt fiel uns auf, dass im Nebengebäude eine Bar untergebracht war, was natürlich auch Probleme mit der Lautstärke geben könnte.
    Zum Glück hat sich Patricia, die eher lärmempfindlich ist, in letzter Minute gegen die Wohnung entschieden. Aus der Anzeige hatte man genau diesen Schwachpunkt der Wohnlage neben einer Disco mit Restaurant nicht entnehmen können, und die Bezeichnung »begrünte Wohnstraße« ruft in einem das Bild eines Idylls in den Kopf, da haben der Geruch von Frittenfett, Betrunkene und Tanzwütige keinen Platz.
    Bei so wichtigen Kaufentscheidungen, wie die für eine Wohnung, ein Auto oder auch eine Urlaubsreise, sollte man sich nie auf Bilder im Internet verlassen. Am besten, das Ganze besichtigen oder – bei der Urlaubsreise – gut das Kleingedruckte studieren!
     
    Ein wahrer Fundus für Ablenkungsmanöver ist auch der Supermarkt. Hier wirst du bei deinem Einkauf an möglichst vielen Regalen vorbeigelenkt; wie ein tiefer Dschungel sind manche dieser großflächigen Läden angelegt, du kommst nie auf direktem Wege irgendwohin und schon gar nicht hinaus – ein voller Einkaufswagen ist dadurch beinahe unumgänglich.
    Wie es kommt, dass ausgerechnet ich mich so gut mit Supermärkten auskenne? Natürlich bin ich als Jugendlicher oft für meine Mutter einkaufen gegangen; schon