Du Durchschaust Mich Nicht
damals habe ich die »Manipulationen« in den Läden genau studiert. Aber wie es kam, dass ich den Supermarkt irgendwann wie meine eigene Westentasche kannte – daran ist Eva schuld, eine Dame von inzwischen 84 Jahren.
Sie kam eines Tages zu uns herüber und fragte meine Mutter, ob ich zu Hause sei und ihr helfen könne. Ich sei doch so groß gewachsen, dass ich sicherlich eine Glühbirne in einer Deckenleuchte wechseln könne, ohne auf eine Leiter steigen zu müssen. Sie erzählte, dass sie mich vom Fenster aus ein paarmal beobachtet habe, wie ich von der Bushaltestelle nach Hause gegangen sei. Und der Elektriker würde sich jedes Mal schon die Anfahrt teuer bezahlen lassen.
Meine Mutter rief mich selbstverständlich, und so schlenderte ich mit der alten Dame die Straße hinunter zum Haus, in dem sie zur Miete wohnte. Sie erzählte mir, dass sie allein lebe, ihr Mann sei verstorben, und ihren einzigen Sohn sehe sie nur selten, die Schwiegertochter habe es nicht gern, wenn er zu ihr komme.
Von nun an half ich Eva, ich durfte sie beim Vornamen nennen, siezte sie jedoch. Wenn ich sie auf der Straße traf und sie schwere Einkäufe nach Hause trug, dann nahm ich ihr die Taschen ab und brachte ihr alles in die Wohnung. Ich mochte Eva, die außerdem eine sehr gute Versuchsperson für kleine Zauberkunststücke war. Eines Tages im Winter stürzte sie auf den eisglatten Bürgersteig und musste sich danach mit einem verbundenen Fuß behelfen. Von nun an übernahm ich den Supermarkteinkauf für sie.
Zwar wollte sie alles wieder selbst machen, sobald ihr der Verband abgenommen worden war. Aber die alte Frau mit den schweren Taschen bei Eis und Schnee: Das kam mir leichtsinnig vor. Außerdem machte es mir nichts aus, ein-, zweimal die Woche für sie einzukaufen. Sie wollte mir aber auf gar keinen Fall Umstände machen, so dass ich noch ein Argument drauflegte: »Liebe Eva, bitte ersparen Sie mir den Umstand, den ganzen Tag aus dem Fenster zu schauen, um mitzubekommen, wann Sie einkaufen gehen wollen! Ich mache das wirklich gern, Sie brauchen nur zu klingeln oder anzurufen.« Jetzt lächelte sie.
Leider komme ich heute nur noch selten dazu, für Eva einzukaufen. Seitdem ich so viel unterwegs bin, hilft meine Schwester unserer betagten Nachbarin.
Was ich aus der Zeit mitgenommen habe, ist ein untrügliches Gespür für die unsichtbare Macht, die einem im Supermarkt die Sinne benebelt und dazu verleitet, lauter Dinge einzukaufen, die man eigentlich gar nicht haben will. Das kennst du sicher auch: Du wolltest nur noch schnell Butter und Milch besorgen. Stattdessen bleibst du gleich am Eingang vor dem großen Werbeplakat stehen, auf dem dein Lieblingsknabberzeug als XXL -Packung zum Supersonderpreis angeboten wird. Auch im Inneren des Ladens wird dir ständig irgendetwas als besonders günstig angeboten; es kann ja nicht schaden, ein bisschen was auf Vorrat mitzunehmen, denkst du – und schwupp!, landet die neue Schokoladensorte im Einkaufswagen.
So geht es weiter, denn das Kühlregal ist natürlich schlauerweise ganz hinten, so dass du zuerst noch an unzähligen anderen Regalen vorbeimusst. Richtig schlimm ist es, wenn man auch noch Hunger hat. Obwohl zu Hause das Abendbrot wartet, kauft man alles, wonach einem gerade der Sinn steht. Eigentlich müsste man sich permanent disziplinieren und ständig daran denken, was man eigentlich wollte. Einfacher gesagt als getan!
Wir sind als Konsument, als Kunde, längst durchleuchtet. Die Konsumforschung hat alles untersucht und analysiert und psychologische Schlüsse daraus gezogen. Diese haben dann Marketingexperten, Raumplaner und Produktgestalter bestmöglich umgesetzt, um dich keinen Schritt mehr selbstbestimmt gehen zu lassen. Du wirst unbemerkt durch den Supermarkt geleitet, die einladende Atmosphäre, die durchdachte Warenpräsentation, die Zickzack-Wege, die du gehen musst, die augenfälligen Schilder und Displays, die von Designern kreierten Verpackungen mit den manipulierten Bildern – so rosig wie auf dem Bild ist der Schinken in der Verpackung doch gar nicht –, die psychologische Anordnung der Produkte im Regal – teure Produkte stehen in Griffnähe, Preiswertes unten –, die entspannende Musik, der verführerische Duft am Brotstand, das farbenintensivierende Licht am Obst- und Gemüsestand …
Wir kaufen mit all unseren Sinnen ein, und unsere Sinne sind daran schuld, dass wir uns so blindlings ablenken lassen. Beobachte dich einmal selbst bei deinen
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