Du gehörst zu mir
Rochesters Sohn zu sein … bereitete Logan Übelkeit. Er hatte den Grafen stets für einen berechnenden, hinterhältigen Ganoven gehalten und ihn deshalb gehasst. Es konnte nicht stimmen, dass das gleiche vergiftete Blut durch seine Adern strömte. Das war noch entsetzlicher, als Paul Jennings’ Sohn zu sein. Jennings war lediglich ein unbeherrschter Rohling. Rochester war wesentlich berechnender, nutzte die Leute für seine Zwecke aus und wandte sich von ihnen ab, wenn er sein Ziel erreicht hatte.
Die Kutsche passierte eine große, von einer Bruchsteinmauer umgebene Hütte, das Haus, das er vor mehreren Jahren für die Jennings gebaut hatte. Mary, Paul und ihre drei Kinder lebten dort recht komfortabel. Paul kümmerte sich immer noch um das von Rochester gepachtete Land. Mittlerweile genoss er jedoch die Annehmlichkeit eines Angestellten, der seinen Pflichten nachging, wenn er nicht gerade betrunken war. Logan unterstützte die gesamte Familie unter der Bedingung, dass sie ihn niemals in London besuchte. Dafür wäre ihm kein Preis zu hoch gewesen.
Sie erreichten den riesigen Landbau, dessen vertraute Silhouette wegen der Dunkelheit kaum erkennbar war. Das Gebäude war bereits drei Generationen zuvor von den Drakes erbaut worden und hatte eine strenge Außenfassade aus Stein, während im Innern geschnitzte Eichenpaneele dominierten. Genau wie sein derzeitiger Bewohner schien es unnahbar und kaum angreifbar. Selbst die Fenster waren klein und schmal, als sollten sie es gegen Eindringlinge schützen.
Da Logan die meisten Bediensteten auf Rochester Hall noch aus seiner Kindheit kannte, betrat er das Haus unangemeldet und kam den Bemühungen der Haushälterin zuvor, den Grafen von seiner Ankunft zu unterrichten.
Er schritt zur Bibliothek, in der Rochester gerade in einen Kunstband vertieft war.
»Scott.« Rochester blickte ihn aus zusammengekniffenen Augen an. »Wenn ich mit allem gerechnet hätte, aber nicht mit deinem Besuch um diese späte Stunde.«
Für Augenblicke blieb Logan wie gelähmt im Türrahmen stehen. Oberflächlich betrachtet besaßen er und Rochester keinerlei Ähnlichkeit einmal abgesehen von ihrer Körperstatur. Wenn er sich die markante Kinnpartie des alten Mannes allerdings genauer ansah, die hervorstechende Nase, die ausgeprägten Brauen … gütiger Himmel, waren seine eigenen Gesichtszüge wirklich so anders?
Logan hatte plötzlich Kopfschmerzen, die er aber verdrängte. Er betrat die Bibliothek. »In diesen Tagen scheine ich eine Vielzahl unerwarteter Besuche abzustatten«, erwiderte er und warf einen Blick auf den Kunstband. Als er einen außergewöhnlich schönen Kupferstich des englischen Porträtisten William Faithorne entdeckte, berührte er das Buch mit seiner Hand.
Mit einem angewiderten Schnauben klappte Rochester den Band zu. »Bist du gekommen, um zu jammern, weil ich die Harris-Sammlung. trotz deines überzogenen Gebots erworben habe?«
»Ich jammere nie, Mylord.«
»Hast du doch in der lächerlichen Inszenierung von Richard II., die ich vor einigen Jahren unseligerweise besuchte.
Ich hoffe, dass ich mir nie wieder eine so jammervolle, groteske Aufführung ansehen muss.«
»Ich spielte die Rolle, wie sie vorgesehen war«, entgegnete Logan gleichmütig.
»Ich bezweifle, dass Shakespeare eine solche Absicht verfolgte, als er das Drama zu Papier brachte«, bemerkte Rochester.
»Waren wohl ein guter Bekannter von ihm, was?« fragte Logan hämisch, und der alte Mann funkelte ihn wütend an.
»Unverschämter Bengel. Sag mir, warum du gekommen bist, und dann verschwindest du.«
Während er gegen den überwältigenden Drang ankämpfen musste, wortlos zu gehen, musterte ihn Logan für einen langen Augenblick.
»Nun?« Fragend hob Rochester eine Braue.
Logan setzte sich auf die Kante des Bibliothekstischs und schob absichtlich den Kunstband beiseite, um sich Platz zu schaffen. »Ich habe eine Frage an Sie. Sagen Sie, Mylord … haben Sie jemals die Bekanntschaft einer gewissen Mrs. Nell Florence gemacht?«
Die einzige Reaktion Rochesters auf die Erwähnung dieses Namens bestand darin, dass seine Finger ein goldgefaßtes Vergrößerungsglas fester umklammerten. »Nell Florence«, wiederholte er langsam. »Der Name ist mir nicht bekannt.«
»Früher war sie Komödiantin am Drury Lane.«
»Erwartest du von mir, dass ich über ein solches Trivialwissen verfüge?« Er blickte Logan so unerschüttert an, als habe er nichts zu verbergen. Seine Augen besaßen die
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