Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Titel: Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Missfeldt
Vom Netzwerk:
einer Plenarsitzung zu folgen, bekennt er später. Warum das so ist, kann man einem Brief entnehmen, den er während einer Sitzung des königlich preußischen Gerichts seinen Schwiegereltern Ernst und Elsabe Esmarch schreibt: Er kann nur schwer bei der Sache bleiben. Gut so aus der Sicht von heute; denn lebensnah und schnörkellos, amüsant und originell zeichnet er ein Sittenbild aus dem Justizleben von damals und gleichzeitig erfahren wir das Neueste von der Familie. Er schreibt auf dem Briefpapier seines Arbeitgebers: »Königlich Preußisches Kreisgericht Potsdam« mit Siegel und Adler.
    Siebzehn Beschuldigte sollen vor den Richter, Storm sieht sie kommen und gehen. Hinter den Augen hat er die Familie im Kopf.
    Zur Sache: Ein völlig trunkener Angeklagter steht vor seinem Richter. Er hat »Lümmel, Esel, Schwein, Hund« zu dem Wachtposten gesagt – 14 Tage Gefängnis!
    Nicht zur Sache kann Storm zwischendurch die endlich fließenden Diäten in Höhe von monatlich vierzig Talern nach Segeberg melden, macht vierhundertachtzig Taler im Jahr, etwa so viel wie das Anfangsgehalt eines preußischen Richters, der fünfhundert erhalte. Storm beklagt auch Heimweh-Leid und Arbeits-Hetzjagd, unter der ein preußischer Richter lebt , er fühle sich als ein bloßes Rad in der Staatsmaschine .
    Zur Sache: Ein Angeklagter beruft sich eben auf seinen lahmen Arm; er habe die Mißhandlung nicht begehen können. »Oho!«, meinte die Zeugin, er hat oft genug mit dem lahmen Arm seine Frau geprügelt!« Allgemeine Heiterkeit im Zuhörerraum.
    Nicht zur Sache berichtet Storm nun über das bevorstehende Weihnachtsfest, erwähnt die bereits gekaufte Tanne und die Geschenke. Für Constanze einen Muff, ein Glas eau d. Cologne, Paul Heyses Novellen.
    Zur Sache: Ein wunderbarer Fall kommt eben vor. Eine junge Dame hat in der Küche aus Terpentin etc. irgendein Mittel bereiten wollen. Die Sachen sind in Brand gekommen, dadurch auch die Küchentische; und sie selbst hat sich stark beschädigt. Sie steht jetzt wegen fahrlässiger Brandstiftung vor uns . – Ich werde für Nichtschuldig stimmen. Die Fahrlässigkeit scheint mir nicht festgestellt. Das Strafgesetzbuch bestimmt eine Strafe von 1 Tag bis 6 Monaten. Das Strafgesetzb. ist klar und kurz aber außerordentlich hart. – Die Dame versucht eine schüchterne Vertheidigung. – Der Gerichtshof nimmt einstimmig das Nichtschuldig an und spricht es aus. »Das hat unser Herz dictirt!«, sagt der alte Blutrichter Meyel. Jetzt kommen drei Diebe. – Die Uhr ist schon 1 ¼. – – –
    Nicht zur Sache: Wir werden Weihnachtsabend wohl ganz allein verbringen, da unsre Bekannte, deren wir hier gute und liebe haben, alle selbst Familie haben. Hans und Ernst sind schon gute Gesellschafter, man kann sich vortrefflich mit ihnen unterhalten. Hans sagte neulich: »Papa ich denke darüber nach, wer nun Recht hat, die Wilden, weil sie an Tubal glauben oder wir, weil wir an den lieben Gott glauben.« Den Tubal hat er aus dem Robinson.
    Zur Sache: Nun noch eine Unterschlagung; dann ist diese Sitzung zu Ende und auch diese Seite.
    Nicht zur Sache: Lebt denn nun alle herzlich wohl und gedenkt unsrer am schönen Weihnachtsabend. Theodor .
    In Potsdam kann Storm seinem Leben offensichtlich auch heitere Seiten abgewinnen, und die reicht er nach Segeberg weiter. Gelegenheit macht Diebe und sei es im Gericht. Unaufhörlich ist seine Phantasie auf der Suche nach Lücken und Nischen in der Lebensordnung.
    Aus der Entfernung und mit gehörigem zeitlichem Abstand betrachtet, steht Potsdam in Storms Biographie vorteilhaft zu Buche. Hier, in einem fremden Land, beißt er sich durch unter schwierigen persönlichen und beruflichen Bedingungen. Dass seine Eltern daran großen Anteil haben, schmälert die Leistung des Sohnes nicht, sondern unterstreicht wieder einmal die liebevoll zupackende Fürsorge von Vater Johann Casimir und Mutter Lucie. Für die noch in ferner Zukunft liegende Tätigkeit als königlich preußischer Richter in Husum ist die Potsdamer Ausbildungszeit wertvolles Kapital. Es zahlt sich aus und erspart ihm ein Pensum, das man ihm auferlegt hätte, wäre er in Schleswig-Holstein geblieben.

Sei du unser Gast
    Literarisch bedeutet Potsdam für Storm den Durchbruch. Kollegen und Verlage erkennen und respektieren das, beneiden ihn darum. Er ist zwar etwas weniger produktiv, aber seine literarische Orientierung erhält hier ihre feste Richtung. Das verdankt er eigener Arbeit und auch der schwierigen

Weitere Kostenlose Bücher