Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)
Schnaps. Darin besteht die ganze Kur des hier und in Berlin hochberühmten Magenkurenkonzessionierten Voigt . Storm muss seine Juristenausbildung unterbrechen. Später, zur Behandlung seines Rheumatismus, lässt er den Barbier mit Blutegeln kommen. Constanze hält sich besser, sie übernimmt das Briefeschreiben an die Eltern und versorgt die von Erkältungen geplagten Kinder. Dann aber befällt auch sie Schwäche, zu allem Überfluss hat sich die Köchin den Knöchel verstaucht.
Der achtundzwanzigjährige Bruder Otto (1826–1908), der in Berlin lebt und sich dort im Kunstgärtnerhandwerk weiterbildet, ist ab und zu bei seinem ältesten Bruder in Potsdam zu Gast. Fontane schätzte Otto unter anderem deswegen, weil er so interessant aus seiner Kriegszeit als Freiwilliger für die Sache der Herzogtümer erzählen kann, war doch Fontane selber drauf und dran, sich als Kriegsfreiwilliger zu melden: Ich seh ihn noch immer vor mir stehn, wie er mir mal die Schreckensnacht von Friedericia beschrieb. Sein Leutnant oder Unteroffizier rief ihm beim Retirieren zu: »nu, ole Storm, give se noch ens.« Er schoß, dann begann das Ausreißen im großen Styl. Nun zieht er Blumen. Die Welt ist rund und muß sich drehn . Und nun, in Potsdam, liest Otto mit Schwägerin und Bruder die Elternbriefe aus Husum.
Auch der einundzwanzigjährige Bruder Aemil (1833–1897) ist zu Besuch in Potsdam, die Familie macht sich Sorgen um seine möglicherweise kranken Augen. Storm redet aus der Ferne beruhigend auf die Eltern ein, bittet sie auch um Hilfe für das in Husum gebliebene Kindermädchen Doris, die tatsächlich um ihr Augenlicht fürchten muss, wenn nicht das notwendige Geld für eine Behandlung in Kiel aufgetrieben werden kann. Diese Doris bedeutet den Söhnen Hans und Ernst viel, Storm schildert sie als vortreffliches Mädchen. Auch das ist echter Storm: sein Mitleid und seine schnelle und entschlossene Hilfsbereitschaft.
Vater, Mutter, Kinder hocken beieinander in der Wohnung und erzählen sich von Husum. Musik zu den Heimwehgesprächen liefert nicht das Klavier, das in Husum geblieben ist, sondern der Teekessel, der wie in Husum braust und sein Teekessellied singt. Er singt den Kammerton der Heimat, dann kann man, gestärkt von Behaglichkeit, freier von der Leber weg reden. Das Heimweh verdichtet sich wie in einer Stormgeschichte, um zu beschwören: Gegen Abend hinten aus dem Garten übers Feld gehen, und mit dieser friedlichen Stimmung in meine stille Häuslichkeit, in eine wirklich eigene, wenn auch noch so kleine zurückkehren, das ist es, was ich im Innersten bedarf . Wann wird wohl ein Besuch in der grauen Stadt am Meer wieder möglich sein? Wie geht es Lena Wies, wie der Großmutter, wie Schwester Cäcilie? Wann wird man dort wieder in der Hohlen Gasse hinterm Haus im Garten sitzen können? Übrigens fehlten eine Bettdecke und ein Kopfkissen. Ob man das per Eisenbahn von Husum aus schicken könne?
Im Juni 1855 herrscht in Berlin große Hitze. Wer irgend kann, verlässt die Stadt und fährt mit Kind und Kegel per Bahn nach Potsdam. Da sind viel Grün und Schatten, da sind das Havelwasser und Abkühlung. An heißen Sommertagen sind die Potsdamer besser dran. In dieser Sommerhitze bringt Constanze am 10. Juni ihr viertes Kind, das erste Mädchen, zur Welt, Lisbeth. Der Name steht schon seit Verlobungszeiten fest, als Storm an der Lisbeth in Immermanns »Münchhausen« einen Narren gefressen hatte.
Constanze hat mehr zu leiden als bei den ersten drei Geburten. Die letzten Schwangerschaftswochen fallen schwer. Nach der Geburt sei sie ungewöhnlich schwächer, heißt es im Brief an Fontane. Erst nach sechzehn Tagen Wochenbett darf sie aufstehen. Die Anstrengungen des Ehe-, Mutter und Hausfrauendaseins, die vielen wirklichen und falschen Wochenbetten (in summa 12) bei C, die Storm im Oktober 1863 in einem Brief an Ludwig Pietsch vermerkt, fordern ihren Tribut.
Vater Assessor Storm geht zur Arbeit ins Gericht. Noch vor dem Frühstück hält er mit Hans und Ernst Schreibübungen ab; erst danach gibt es für die Kinder zu essen, dann geht Hans zur Schule, morgens von acht bis zehn, nachmittags von zwei bis vier; eine Viertelstunde Fußweg bis dahin, gleich beim Brandenburger Tor. Karl hängt seiner Mutter am Rockzipfel, Lisbeth wird gestillt. Im Herbst 1855 muss Potsdam eine Cholera-Epidemie überstehen. Storm berichtet von fünfzehn tödlichen Fällen innerhalb einer Woche. Dagegen verordnet der Arzt Cholera-Pulver und Portwein. Auch
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