Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)
Auseinandersetzung mit den Freunden Kugler & Co.
Bei Kugler lernt Storm an einem Februarabend 1854 einen seiner Dichter-Heiligen persönlich kennen: Eichendorff. Das Ehepaar Theodor und Constanze Storm, auch Fontane ist anwesend, erlebt einen unvergesslichen Abend, den Kugler auf Storms persönlichen Wunsch eingerichtet hat. In seinen stillen blauen Augen liegt noch die ganze Romantik seiner wunderbaren poetischen Welt. Er ist übrigens schon ganz weiß, schreibt Storm seinen Eltern.
Und noch einen seiner Dichter-Heiligen erlebt Storm persönlich: Eduard Mörike. Dessen Gedichte hat er in Kiel durch die Mommsen-Brüder kennen gelernt, sich ein für alle Mal für sie begeistert. In seinem »Hausbuch« von 1875 räumt er ihm auf zwanzig Druckseiten Platz für seine Gedichte ein, so viel wie sonst nur Friedrich Rückert erhält.
Storm schreibt 1850 zum ersten Mal an Mörike; im Brief liegen seine »Sommergeschichten und Lieder«. Die persönliche Begegnung der beiden Dichter geschieht allerdings nicht in Potsdam, sondern im August 1855 bei Mörike in Stuttgart. Als die Husumer Eltern ihre Storms in Potsdam besuchen, kommt die Gelegenheit. Storm hat für Vater und Mutter drei möblierte Zimmer in der Nähe gemietet, man will mittags und abends zum Essen beisammen sein. Nach der Junihitze, in der Lisbeth geboren wurde und die den Storms so zusetzte, ist kaltes Wetter eingebrochen. Am 22. Juli treffen die Eltern in Potsdam ein; das erste Wiedersehen mit Kindern und Enkeln, seit ihr Sohn und die Seinen Husum verlassen haben. Während die Eltern zu Besuch sind, hütet Storm seinen Rheumatismus im Bett. Mutter Constanze, die sechs Wochen alte Lisbeth und auch die Söhne halten sich. Glück für die Eltern, sie können sich jederzeit in ihre gemieteten eigenen vier Wände zurückziehen.
Sie bleiben vierzehn Tage, reisen dann nach Erfurt, um den Jüngsten zu besuchen. Sohn Otto arbeitet hier als Gärtner und will demnächst auf eigenen Füßen stehen. Storm fährt, vom Vater finanziert, hinterher, trifft Bruder und Eltern. Er schwärmt von der alten prächtigen Stadt , wo Otto seine berufliche Zukunft sieht: Erfurt ist ja die eigentliche Gärtnerstadt Deutschlands .
Storm setzt die Reise gemeinsam mit den Eltern nach Heidelberg fort; man kehrt ein im »Gasthof zum Ritter«. Odenwald und Weingärten sehen zum Zimmerfenster herein. Johann Casimir will in Heidelberg die Spuren seiner Studentenzeit erwandern. Storm erwartet in Heidelberg einen Brief von Mörike, »poste restante« mit der Adresse »Assessor Th. Storm aus Potsdam«. Und Mörike erwartet Storm mit dem Gruß: Welch liebliche Aussicht, mein theurer Freund, Sie in Person hier bei uns zu haben!
Am Mittwoch, den 15. August reist Storm nach Stuttgart. Die Sonne hat ihm gestern eine rothe Nase gemacht, lässt er Mörike vorsichtshalber noch kurz vor seiner Ankunft wissen. Um 7.20 geht der Zug von Heidelberg ab, um 11.05 kommt er in Stuttgart an; 3 ¾ Stunden Fahrzeit; der schnellste Zug heute braucht 39 Minuten.
Im Alten Bahnhof von Stuttgart wartet Wilhelm Hartlaub, nicht Mörike, denn der gibt gerade Literaturstunde am Stuttgarter Katharinenstift: »Anstalt für Bildung der Töchter der mittleren und höheren Stände«. Hartlaub, Freund und Bewunderer des schwäbischen Dichters, tritt Storm als eine hagere fadenscheinige Pfarrerfigur entgegen. Er hat ein mit Bleistift geschriebenes, lateinisch abgefasstes Begrüßungsschreiben in der Tasche: Salve Theodore! Negotio publico distensus, amicum, ut meo loco Te excipiat, mitto carissimum, Guilielmum Hartlaub, quem nosti, Constantiae Suevicae maritum. Salve! E. Mörike. Sei gegrüßt Theodor! Ich schicke, abgehalten durch mein öffentliches Amt, den liebsten Freund, damit er Dich an meiner Stelle empfange, Wilhelm Hartlaub, den Du kennst, den Gatten der schwäbischen Constanze. Sei gegrüßt! E. Mörike.
Hartlaub und Storm gehen zu Fuß zu den Mörikes. Tochter Fanny sei vor vier Monaten geboren worden, erfährt Storm unterwegs, und der Eduard hat was vollendet, was von überwältigender Schönheit ist – eine neue Novelle.
Da Mörike noch nicht von der Schulstunde zu Hause ist und Frau Margarethe auf sich warten lässt, sieht Storm sich erst mal in der Wohnung um: Nussbaummöbel, gute Bilder und Raritäten, zu den Bildern zählen auch Constanzes und sein Porträt, die er dem verehrten Dichter im November des vorigen Jahres geschickt hat und die nun über seinem Sopha hängen. Ob die Mörikes als aufmerksame Gastgeber
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