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Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition)

Titel: Du graue Stadt am Meer: Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Missfeldt
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der Hand gehen Storm die Bettelbriefe nicht, die er seinem Vater schreibt, die auch später noch geschrieben werden müssen, als er sein Amt als bestallter und bezahlter preußischer Kreisrichter ausübt. Nur noch die Bitte, mich bald wieder mit Geld zu versehen , schreibt er. Ihn treibt die Sorge, daß ich eine Zeitlang wieder Dir mehr als in der letzten Zeit zur Last fallen muß . Wie schwer Storm sich damit tut, seinen Vater anzupumpen, liest man auch der Sprache ab, die er wählt, um sich von der Sache zu distanzieren: Wenn ich die qu.[ästionierten=fraglichen] 100 Taler wohl erhielte, die doch wohl eintreffen, so könnte ich mich noch bis Anfang März hinein halten, ohne Dich wieder zu molestieren .
    Johann Casimir lässt seinen Ältesten nicht im Stich; auch die jüngeren Söhne Johannes, Otto und Aemil und die einzige noch lebende Tochter Cäcilie empfangen aus seinen großzügig gebenden Händen Ausbildung und Brot. Storm weiß das zu schätzen, er ist dankbarer und respektvoller Sohn. »Lieber Vater« und »guter Vater« heißt es in der Anrede seiner Briefe, auch »Lieber, guter Vater«.
    Nicht nur Geld kommt von den Eltern, sie schicken zusätzlich Naturalien. Eine »Tonne Butter« wird aus Husum geliefert. Kaum zu glauben, dass diese Tonne das damals gängige Hohlmaß meint; denn dann hätten die Storms, legt man die kleine Tonne zu Grunde, 224 Pfund Butter erhalten (1 Pfund = 483,41 Gramm), das sind aus heutiger Sicht (1 Pfund = 500 Gramm) 108,28 kg. Wie soll man diese Buttermenge lagern, ohne sie ranzig werden zu lassen? Das kostbare, köstliche Fett aus dem Norden wird in einem Gefäß angelangt sein, das Storm mit »Tonne« bezeichnet hat; wohl eine »Kruke Butter«, also ein mit Butter gefüllter Krug, den Storm an anderer Stelle erwähnt. Unsere Köchin war ganz außer sich und wiederholte immer »Nä so’ne schöne Butter. Sehn Se wol, Herr Assessor, der liebe Jott läßt keenen verderben , schreibt Storm kurz vor Weihnachten 1853 nach Hause.
    Es kommt ein Schinken aus der Hohlen Gasse. Backbirnen aus dem Husumer Garten landen im Potsdamer Haus, auch Käse, Gänsekeulen und Mehl. Das Mehl wird für die Weihnachtskuchen aufbewahrt und nicht verbraucht für Storms so geliebte Mehlspeisen. Warum ist in der Heimat alles schöner, warum schmeckt dort alles besser, warum ist dort alles billiger? Liegt es am Heimweh? Immerhin: Das Gemüse, und dazu gehören selbstverständlich Kartoffeln, ist in Potsdam verhältnismäßig nicht so theuer und viel schöner als bei uns .
    Potsdam, alles in allem, empfindet Storm bis zuletzt und bis ans Lebensende als Ort der Unfreiheit. Hier fühlt er sich, dem Poesie wie Luft zum Atmen und das eigene Wort wie die Butter aufs Brot sind, eingesperrt. Die Rütlionen erweisen sich als ungeeignet, sein Freiheitsbedürfnis zu stillen: zu viel Preußentum, zu wenig Poesie. Für die Justiz-Kollegen erweist sich Storm als ungeeignet: zu wenig Preußentum, zu viel Poesie.
    Aktenstudium zu Hause – ob das dem Direktor Recht und Ordnung ist? Nach preußischer Pflichtauffassung mag es etwa im Krankheitsfall erwünscht sein, aber der Normalfall ist das sicher nicht. Zu Hause arbeiten ist Storm aber immer das liebste . Erholung und Stärkung, wer wüsste das nicht, bringen das Beiseitelegen der Akten und das Verschwinden in geliebter Lektüre. Dann schnuppert er nebenher bei Constanze und Kindern Heimat und im Umgang mit eigenen Wörtern und eigener Poesie schnuppert er Freiheit. Dabei fällt das eine oder andere Stück Lyrik und Prosa ab. Auch die »Argo«-Beiträge, die Storm für Rütli-Freund Eggers alias Anakreon in Potsdam verfasst, dienen der Erholung, sie sind darüber hinaus eine Möglichkeit, seine grundsätzliche Haltung zu Poesie und Prosa genauer kennen zu lernen und das eigene poetische Selbst zu festigen. Jedes diesbezügliche Stück Arbeit ist auch ein Dokument der Freiheit und damit ein Stück Storm.
    Als Storm die Vertretung eines Kollegen übernehmen muss, weist der Direktor den Assessor Storm an: Das Dezernat des Kreisrichters von Bodmer ist täglich auf dem Gericht abzuarbeiten. Das klingt ganz nach Maßregelung mit ernstem Charakter, denn der Direktor hat alle seine Mahnworte zur besonderen Betonung eigenhändig unterstrichen. Storm muss demnach, auch wenn ihm seine Gesundheit die Arbeit im Kreise der Kollegen erlaubt hätte, nicht auf dem Gericht gewesen sein.
    Er hat sogar Sitzungen im Gericht geschwänzt. Es sei ihm niemals möglich gewesen, einer Diskussion in

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